Drei junge Regisseurinnen aus Zürich: Ivana Lalovic, Maria Sigrist und Monica Amgwerd. Giacomo Pfeiffer

Jung, wild und talentiert

Die Zukunft des Schweizer Films ist weiblich und hat kein geringeres Ziel als die Oscars.

21. März 2013

Schweizer Filme sind bestenfalls Mittelmass – eine Binsenweisheit, die sich hartnäckig hält und sich dennoch leicht widerlegen lässt. Abseits der grossen Kinosäle, an Festivals und in den Abschlussklassen der Filmschulen, finden sich junge Talente, die das Potential haben, auch auf grossen Leinwänden zu reüssieren. Drei dieser Talente sind Ivana Lalovic, Maria Sigrist und Monica Amgwerd, die an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) den Studiengang Film abgeschlossen haben. «Alle drei sind aussergewöhnlich talentiert», sagt Bernhard Lehner, Leiter des Bachelorstudiengangs Film an der ZHdK. Das erste Mal in die Filmwelt gewagt haben sich die jungen Regisseurinnen aus Zürich mit grossen Zielen und drei aussergwöhnlichen Abschlussfilmen.

«Ich träume nicht auf Deutsch»

«Coming of Age», zu Deutsch «Erwachsenwerden», heisst das Genre, in das sich die drei Kurzfilme einreihen. Die Regisseurinnen gewähren einen Blick auf ihre eigene Welt, auf Themen, die sie selbst betreffen. Viel mehr ist den Filmen nicht gemein, denn in der künstlerischen Verdichtung durch die Kameralinse unterscheiden sich die Handschriften der drei Filmschaffenden und ihre Wahrnehmung der Welt stark. Lalovic nähert sich in «Ich träume nicht auf Deutsch» dem Thema Identität und Heimat.

Die Geschichte spielt in einem Hotel in Sarajevo, der Stadt, in der Lalovic aufgewachsen ist. Sie lebte dort bis 1991. Kurz vor dem Kriegsausbruch folgte sie mit ihrer Familie dem Vater, der in der Schweiz Arbeit gefunden hatte. Die Frage, in welcher Sprache der Protagonist, ein in der Schweiz lebender Bosnier, träumt, wird zum Sinnbild einer gebrochenen Identität. Lalovic webt die Frage in den unglücklichen Anfang einer inzestuösen Liebesgeschichte ein.

Es sind Aufnahmen einer intimen Begegnung. Statt dass der Film mit einer Antwort aufgelöst würde, entsteht anhand der weiblichen Hauptfigur, die mit nüchterner Perspektivlosigkeit in dem Hotel, in dem der gesamte Film spielt, kellnert, eine Folgefrage: Ist es da, wo sie lebt überhaupt ,noch möglich, zu träumen?

In einer komplett anderen Realität bewegen sich die jungen Leute, deren flüchtige Spur Maria Sigrist in «Girl and Boy on the Rocks» mit der Kamera festhält. Der Kurzfilm spielt im Künstlermilieu. Im Spannungsfeld zwischen einem übersteigerten Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und dem Wunsch nach Vereinigung begegnen sich junge Menschen an einer Party und treffen sich dennoch nie wirklich. Die Kommunikation bleibt oberflächlich, die Begegnungen wirken unverbindlich. Sigrist hat die Szenen, ähnlich einer Collage, aus Dialogen und Charakteren aus ihrem eigenen Umfeld montiert. Als Tochter eines Dokumentarfilmers ist die junge Regisseurin zwischen Kameras aufgewachsen. Ihre Auseinandersetzung mit einem Leben in Künstlerkreisen begann früh und begleitet sie bis heute.

«Filmemachen ist harte Arbeit: Es gilt endlos viele Entscheidungen treffen», so Lalovic. Ideen sammeln, sich in eine Welt hineindenken, schreiben, Dossiers zusammenstellen, um Geld für ein Projekt zu erhalten, und im besten Fall die Realisation am Ende eines langen Prozesses. Auch Sigrist findet ihren Beruf zuweilen kräftezehrend und dennoch: Filmemachen ist Beruf und Berufung zugleich und das Einzige, wovon die jungen Frauen leben wollen.

Die Suche nach dem Glück

So geht es auch Monica Amgwerd, die mit «Reise nach Jerusalem» die Filmklasse abgeschlossen hat. Ironisch und charmant erzählt Amgwerd die Geschichte zweier junger Karrierefrauen, denen bei einer Begegnung beim Nachmittagskaffee die Möglichkeit des Mutterwerdens bewusst wird. Nüchtern, als ginge es um eine Meldung in der Tagespresse, besprechen sie den thematischen Fund. Gedanken über die eigene Vergänglichkeit, die Endlichkeit der Kindheit und die Frage nach Glück und Platz auf der Erde durchziehen den Dialog der jungen Frauen. Amgwerd tritt im Film selber als eine der beiden Hauptfiguren in Erscheinung. Sie hat in New York Schauspiel gelernt, bevor sie an die ZHdK kam.

Für Amgwerd ist Filmemachen ein Mittel, die eigene Weltsicht zu materialisieren. «Ich hatte immer eine genaue Vorstellung davon, wie die Dinge – Gespräche, Kleidung, Situationen – eigentlich sein sollten», sagt Amgwerd. In ihrem nächsten Projekt, einer Serie, versucht sie diesen Anspruch fortzuführen. Auch Maria Sigrist und Ivana Lalovic arbeiten an neuen Projekten. Lalovic hat gerade ihren ersten Spielfilm abgedreht: «Sitting next to Zoe» kommt im Herbst in die Kinos. Im April erhält sie zudem Bescheid, ob sie vom Bundesamt für Kultur den Zuschuss für ein Drehbuch bekommt. Maria Sigrist steckt mitten in der Arbeit an einer romantischen Komödie mit dem Arbeitstitel «Kaltes Bett». Ihre Aufmerksamkeit gilt auch in diesem Projekt dem sozialen Netz, den Strukturen, die menschliches Verhalten bedingen. «Ich fand «Bauer, ledig, sucht» super», sagt Sigrist.

Filmemachen ist für sie die Suche nach Wahrhaftigkeit, die es einzufangen gilt. Solche Momente der Echtheit gebe es aber nicht nur in Reality-Shows. Die Gäste in «Sternstunde Philosophie» seien ebenfalls ehrlich und authentisch, so die Regisseurin. «Im Gegensatz zu den Medienprofis, bei denen vor lauter Professionalität echte Emotionen auf der Strecke bleiben.»

Ziele möglichst hoch stecken

Dass im Film aber auch die Erzählung vor die Beobachtung treten kann, beweist Monica Amgwerd. Wie wichtig ihr Sprache und Kommunikation sind, merkt man der eloquenten Regisseurin auch an, wenn man mit ihr am Küchentisch sitzt. Sie feilscht um richtige Begriffe. Sprachliche Präzision in der Darstellung ihrer komplexen Weltsicht ist ihr wichtig. Amgwerd will Aussagen machen. Ihr filmisches Interesse gilt amerikanischen Serien mit klarer Autorenvision, wie «Mad Men» oder «Girls».

«Als Kind wollte ich Flight Attendant werden», erzählt Lalovic, «weil ich dachte, das hätte was mit Glamour und Reisen zu tun – und ich war noch nie geflogen. Ich kannte das nur aus Prospekten.» Grosse Träume sind den jungen Frauen bis heute geblieben: Wahrheiten zeigen, einen Oscar gewinnen und vor allem vom Filmen leben können. «Man muss Ziele unerreichbar hoch stecken. Davon erreicht man im besten Fall 75 Prozent und hat immer noch mehr geschafft als die meisten», sagt Lalovic lachend. Ihre Kolleginnen würden ihr zustimmen: Keine Angst vor dem Absturz und vor Peinlichkeiten ist Amgwerds Erfolgsrezept. Mehr technische Präzision, ehrliches Interesse und Leidenschaft wünscht sich Sigrist für die hiesige Filmlandschaft.