«Darüber reden ist das Wichtigste», sagt Psychologe Jürg Frick. Kathrin Frick

«Wegschauen ist der grösste Fehler»

Der Psychologe Jürg Frick erklärt, in welcher Verbindung Suizid und Studium stehen und wie Studierende damit umgehen können.

25. Februar 2013

Jürg Frick, sprechen wir über Suizid. Trotz eines halben Dutzends Suizidfälle von Uni- und ETH-Studierenden pro Jahr spricht kaum jemand auf dem Campus darüber. Warum?

Weil es ein unangenehmes Thema ist und die Schuldfrage sofort ins Zentrum gerückt wird. Niemand will am Tod eines Menschen mitschuldig sein. Darum bleibt vielen Angehörigen Ratlosigkeit. Zudem fehlt die Lobby. Engagement in diesem Bereich beruht meistens auf freiwilliger Basis.

Kann Stress im Studium zu einer erhöhten Suizidbereitschaft beitragen?

Das Studium allein ist nie das Problem. Es geht beispielsweise darum, ob Studierende mit Misserfolgen umgehen können. Einige sind erfolgsgewöhnt und fallen dann an der Universität zum ersten Mal bei einer Prüfung durch. Das grösste Problem ist jedoch die Anonymisierung. Die soziale Verknüpfung kann an grossen Institutionen schwierig sein.

Was ist die Gefahr am Alleinsein?

Die Zeit zum Grübeln. Einzelgänger drehen sich eher im eigenen Gedankensystem und reden sich ein, sie seien schlechter als alle anderen. Ein soziales Umfeld funktioniert als Korrekturin­stanz. Freunde klopfen einem gerne mal auf die Schulter und sagen: «So schlimm ist das nicht.» Das Verlieren in den eigenen Gedanken ist das Gefährliche.

Krisen und Depressionen sind nicht selten unter Studierenden. Wie können sich daraus konkrete Suizidpläne entwickeln?

Häufig stecken lange, von Niederlagen geprägte Prozesse hinter Suizidplänen. Sie entstehen, wenn die stabile Basis im Leben komplett zusammenbricht. Beispielsweise gerät eine Studentin, welche sich völlig auf ihren Partner abgestützt hatte, nach der Trennung vollkommen aus dem Gleichgewicht und wird suizidal. Dabei geht es darum, sich aus dieser unerträglichen Situation zu befreien.

Welche Symptome unterscheiden depressive von suizidalen Personen?

Suizidale Personen vermitteln einen ruhigen Eindruck, wenn sie einen Plan gefasst haben. Niemand ahnt, in welcher Gefahr sie schweben. Die häufigsten Symptome einer Depression sind: Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit, Rückzug aus dem sozialen Leben, Freudlosigkeit, Ess- und Schlafstörungen.

Wie sollen Studierende reagieren, wenn Kommilitonen diese Symptome aufweisen?

Unbedingt die Person ansprechen. Der Andere soll spüren, dass sich jemand interessiert. Als Laie ist man jedoch bald überfordert und sollte den Betroffenen ermutigen, Hilfe zu suchen.

Kann Einschreiten auch kontraproduktiv sein?

Nur wenn das Gespräch nicht auf gleicher Augenhöhe stattfindet und nicht taktvoll ist. Den Betroffenen in der Mensa-Schlange darauf anzusprechen, ist nicht sinnvoll. Darüber reden ist das A und O im Umgang mit Depression und Wegschauen der grösste Fehler.

Jürg Frick wurde 1956 in Zürich geboren und studierte Psychologie. Heute ist er Dozent für Psychologie und Berater für Studierende und Lehrkräfte an der Pä­dagogischen Hochschule Zürich.