In Berlin sorgt ein Basler dafür, dass nicht nur der Salat vegetarisch ist. Moritz Schenk

Fleischlos glücklich in Berlin

Während hierzulande die Forderung nach einer fleischfreien Mensa auf Unverständnis stösst, ist die Veggie No° 1 in Berlin längst ein Erfolg.

19. November 2012

Die erste rein vegetarische Hochschulmensa Deutschlands, die Veggie No° 1 auf dem Campus der Freien Universität (FU) in Berlin, hat kein Akzeptanz-, sondern ein Kapazitätsproblem: «Die Essenszeit beginnt wegen der Warteschlange neu eine Viertelstunde früher», steht auf einem Schild am Eingang der Mensa zu lesen.

Die Veggie No° 1 sei «ein Riesenerfolg», erzählt Stefan Zeuner. Der stellvertrende Leiter des Studentenwerks Berlin schwärmt in reinstem Baseldeutsch von seiner Mensa, während kurz vor halb drei Uhr nachmittags gerade die letzten Hungrigen am vielfältigen Salatbuffet farbige Vitaminberge auftürmen, bevor die Mensa schliesst.

Basler erklärt Berlinern Vegi-Essen

Bevor Zeuner vor drei Jahren nach Berlin zog, war er am anthroposophischen Goetheanum im baslerischen Dornach tätig. Er hat mitgeholfen, die Idee einer rein vegetarischen Unimensa umzusetzen.

Was Basler Studierende jüngst forderten, hat ein Basler in Berlin also bereits realisiert. Im vergangenen September nahm der Studierendenrat der Uni Basel eine Initiative an, die im Kern verlangte, dass an den Mensen der Universität kein Fleisch und Fisch mehr angeboten wird.

Dieser Vorschlag hat zu hitzigen Diskussionen geführt. Markus Gilli, Chefredaktor des Zürcher Lokalsenders TeleZüri, sprach in seiner Sendung SonnTalk von «Vegetarier-Taliban». Deren Initiative habe für seinen «Frust der Woche» gesorgt. Auch dem Tages-Anzeiger stiess das Basler Vorhaben sauer auf: Ob damit «die Welt entscheidend verbessert würde», fragte er rhetorisch. Angesichts «der turbulenten Ereignisse in- und ausserhalb Europas» sei die Forderung Symbolpolitik im Stile der SVP: «markig, aber folgenlos». Mit anderen Worten: Warum sollten sich die Studierenden um das Blutbad im lokalen Saustall kümmern, wenn und solange sie dem Blutvergiessen im fernen Syrien nicht Einhalt gebieten?

Der Studierendenrat jedenfalls kam nach einem Referendum auf das Anliegen zurück und verabschiedete einen Kompromiss, der unter anderem zwei fleischfreie Tage pro Woche, tiefere Preise am Salatbuffet sowie eine gänzlich vegetarische Mensa vorsieht. Der Entscheid der siebenköpfigen Verpflegungskommission der Universität Basel, in der der Studierendenrat zwei Stimmen hat, steht noch aus.

Anfangs auch Proteste in Berlin

Als die Veggie No° 1 aufmachte, gab es auch in Berlin zunächst Proteste. Die «Liste gegen die Veggie-Mensa» gewann 2011 zwei Sitze im Studierendenparlament der FU. Einige Stammgäste der alten Mensa seien anfangs tatsächlich ungläubig vor den fleischfreien Vitrinen gestanden, erzählt Zeuner. Dank persönlicher und offener Kommunikation habe man aber die meisten vom neuen Konzept überzeugen können. Zu Beginn seien täglich 500 Essen ausgegeben worden. «Heute sind es im Schnitt sogar schon mehr als 1000», sagt Zeuner.

Die wachsende Nachfrage spiegelt sich auch im nachlassenden parlamentarischen Widerstand: Bei den letzten Wahlen machten die Anti-Vegis nur noch halb so viele Stimmen wie im Jahr zuvor. Die Hochschulstadt Berlin ist allgemein ein guter Flecken Erde für Vegetarierinnen und Vegetarier: 70 Prozent aller in den Mensen des Berliner Studentenwerks angebotenen Speisen enthalten weder Fisch noch Fleisch.

Mit oder ohne Fleisch: gleiche Preise

Darauf angesprochen, wie sich seine Kundschaft zusammensetzte, sagt Zeuner, dass sich die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Speisen in etwa die Waage halte. Es gebe auch Gäste, die sich nicht rein vegetarisch ernähren, aber dennoch gerne in die Veggie No° 1 kommen, weil ihnen das Angebotene schlicht schmecke. Was die Preise angeht, sind diese in allen Mensen des Studentenwerks – mit oder ohne Fleisch – grundsätzlich gleich. Etwas mehr als einen Euro kostet ein Standardmenu, wobei alle Beilagen in der Veggie No° 1 biologisch und vegan sind und der Einkauf im Allgemeinen möglichst regional, was die Einsparungen durch den Verzicht auf Fleisch und Fisch ausgleicht.

In Zürich wieder ein Thema

Auch wenn er die Aufregung um die Forderung der Basler Studierenden nicht verstehen kann, sei es ein «mutiger Entscheid», sagt Stefan Zeuner vom Studentenwerk Berlin und schiebt nach: «Womöglich reise ich schon bald nach Basel, um die Verantwortlichen und das Personal bezüglich kommender Umstellungen zu beraten.»

Basel nimmt sich also wahrscheinlich Berlin zum Vorbild und dürfte damit, so der Eindruck vor Ort, ganz gut fahren. Es ist gut möglich, dass sich die Diskussion in Basel ähnlich wie in der deutschen Hauptstadt entwickelt und der anfängliche Protest in absehbarer Zeit abebbt. Spätestens dann würde die vegetarische Mensa auch in Zürich wieder ein Thema und man könnte den StuRa-Antrag der filo-Fraktion vom Mai 2011 zur «Änderung der Fleischpolitik der Unimensen» wieder aus der Schublade holen. Böse Kommentare wie «Selbsttötung wäre eine Alternative zu veganischem Essen», wie sie nach dem Antrag der filo in Internetforen zu lesen waren, wären wohl auch dann wieder gewiss, aber schmeckt man die gegenwärtige Diskussion mit einer Prise Pragmatik ab, ist es möglich, Lösungen zu finden, die fast allen besser munden. Berlin lässt grüssen.