«Donald Duck, ein Sexualneurotiker?» Solche Fragen untersuchen die Donaldisten. Louise Østergaard

Donaldisten fordern Lehrstuhl

Sie erforschen das Sexleben Donald Ducks und das Fernsehverhalten der Bewohner Entenhausens. Der Donaldismus kommt in die Schweiz.

19. November 2012

Wie krank ist das denn: «Donald Duck, ein Sexualneurotiker?», «Die Verdrillingung der Entenhausener Monde», «Die Ducks. Psychogramm einer Sippe». Wer sich bei diesen donaldistischen Forschungstiteln bereits an den Kopf greift, sollte nie eine Vorlesung zum Thema «Geologie und Geotechnik in Entenhausen» besuchen. Dort wird den Zuhörern folgende Grundthese zugemutet: Entenhausen existiert. Wirklich! Und zwar in einem Paralleluniversum auf dem Planeten Stella Anatium. «Anas» ist übrigens lateinisch und heisst zu Deutsch Ente. Es fällt schwer, angesichts dieser Absurdität nicht auf der Stelle loszulachen.

Doch im Vorlesungssaal des Geologischen Instituts der ETH, in dem die Vorlesung abgehalten wird, herrscht stoische Ruhe. Die mehrheitlich älteren Besucher hören interessiert zu und machen sich eifrig Notizen. Die von der Geologischen Gesellschaft Zürich organisierte Vorlesung hat den Anschein einer seriösen Veranstaltung. Auch der Vortragende Patrick Martin – geschrieben: PaTrick – referiert in einer Seelenruhe über den Umgang der indigenen Bevölkerung Entenhausens mit Erdbeben, Minivulkanen und schwimmenden Inseln.

Mehr als triviale Comics

Da kann man sich schon fragen: Ist das ein schlechter Scherz? Will sich der Basler Geologe mit der Entenkrawatte über sein Publikum lustig machen? «Ganz und gar nicht!», antwortet der ausgewiesene Donaldist. «Wir betreiben unsere Forschung durchaus mit Ernsthaftigkeit.» Die Donaldisten erforschen Entenhausen seit über 30 Jahren auf wissenschaftlicher Grundlage. Die 850 Mitglieder der «Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus» (D.O.N.A.L.D.) bewegen sich in so ziemlich allen wissenschaftlichen Fachgebieten. Sie stützen sich dabei auf das 6000-seitige Werk des Comiczeichners Carl Barks in der deutschen Übersetzung von Erika Fuchs. Dieses Korpus bezeichnen sie religiös anmutend als «Überlieferung».

Es wird deutlich: Donaldisten blättern nicht bloss triviale Heftchen durch, sondern betrachten die Comics als journalistische Berichte. Ihre Forschungsergebnisse bringen die unglaublichsten Fakten zu Tage. Wer wusste zum Beispiel, dass die Netzspannung in Entenhausen 313 Volt beträgt, dass Dagoberts Geldspeicher 2,1 Millionen Tonnen wiegt oder dass es sich bei Tick, Trick und Track um ein einziges Mehrfachwesen mit verschiedenen Zügen handelt? Die letzte These ist übrigens unter den Donaldisten sehr umstritten.

Der Schweizer Donaldist

Auch der Schweizer Donaldist Serge Hediger hat da so seine Bedenken. Der 49-jährige Experte für das TV-Verhalten der Bewohner Entenhausens kam per Zufall zum Donaldismus. Im Jahre 2004 recherchierte er als damaliger Redaktor des Nachrichtenmagazins Facts die Herkunft Donald Ducks. Dabei stiess er auf die D.O.N.A.L.D. und entschloss sich sofort, der Organisation beizutreten.

Hedigers Aufstieg bei den Donaldisten war steil. Heute ist er bereits Ehrenmitglied der donaldistischen Akademie der Wissenschaften. Dieses Gremium verleiht alljährlich den mit 100'000 Talern dotierten «Professor-Püstele-Preis», benannt nach einem berühmten Entenhausener Forscher. Damit werden Arbeiten ausgezeichnet, welche die donaldistische Forschung entscheidend vorangebracht haben.

All das erinnert stark an Dadaismus. Die Zürcher Kunstbewegung lehnte sich mit spitzen Satiren gegen konventionelle Strukturen auf. Versucht auch der Donaldismus, die Wissenschaften zu parodieren? «Nein. Wir fühlen uns der Wissenschaft verpflichtet und lehnen uns nicht wie die Dadaisten gegen etwas auf», wehrt sich Hediger und fügt an: «Zu untersuchen wäre allerdings, ob Donald Duck dem Dadaismus nahe steht. Dazu müsste jedoch erst festgestellt werden, ob in Entenhausen ein solches Kunstverständnis überhaupt existiert.»

Wozu das Ganze?

Auch wenn es offensichtlich ist, dass dieser Wissenschaft nur mit einem Augenzwinkern zu begegnen ist, stellt sich doch die Frage: Wozu braucht die Welt den Donaldismus? Hediger behauptet, dass aus den Forschungsergebnissen ein Nutzen gezogen werden könne.

Seine Antwort lässt aber an der totalen Ernsthaftigkeit des Donaldismus zweifeln. Denn als Beweis zieht er die reichste Ente der Welt heran: «Wie kam Dagobert Duck zu einem Vermögen von 9 Fantastilliarden, 657 Zentrifugillionen Talern und 16 Kreuzern? Durch eine kluge Anlagestrategie, von der Herr und Frau Schweizer, Herr Ermotti und Bundesrat Berset lernen können.»

Hätte der Donaldismus die Finanzkrise verhindern können, wenn er bloss etwas bekannter wäre? Man weiss es nicht. Klar ist aber, dass die Donaldisten hoch hinaus wollen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Donaldisten einen Lehrstuhl an einer Hochschule anstreben. «Meinetwegen darf es auch nur ein Privatdozent sein. Hauptsache, die Vorlesungen dauern zu lange, und die Skripte weisen genügend Fussnoten auf», sagt Hediger.

«Mir gefällt es!»

Momentan beschäftigt er sich mit einem greifbareren Ziel. Er will den Donaldismus in der Schweiz etablieren. Hier harren noch etliche Phänomene ihrer Antwort. Die folgende Frage brennt Hediger dabei besonders unter den Nägeln: «Was meint Donald Duck, wenn er sagt: ‹Was aus der Schweiz kommt, ist immer gefragt›?» Zur Klärung dieser Frage wurde dieses Jahr der Zürcher Stammtisch der Entenforscher ins Leben gerufen. Er nennt sich «Z.ü.r.I.c.H»: Zusammenkunft überaus repräsentativer Interessierter an charakteristischen Helvetika. «Seufz, Ächz, Stöhn!», würde Donald wohl sagen. Das ist harter Stoff! Nicht nur für Donaldisten selbst, sondern auch für ihr Umfeld gilt es ganz schön was auszuhalten. «Naja», meint Hediger nüchtern, «meine Söhne mögen ‹Silberpfeil› und ‹Bessy› lieber.»

PaTrick Martin ist weniger zurückhaltend: «Mein Umfeld hält das Hobby für eine vollkommen sinnentleerte Beschäftigung. Aber mir gefällt es!» Mit einem Augenzwinkern, wie es bei den Donaldisten üblich ist, fügt er an: «Wie schon Descartes sagte: Wissenschaft hängt nicht vom Gegenstand ab, sondern von der Methode.» Dann packt PaTrick seine Sachen, rückt die Entenkrawatte zurecht und verlässt den Saal.