«The Imposter» – Lüg dir eine bessere Realität
Am 8. Zurich Film Festival gibt es auch dieses Jahr wieder viele interessante Filme zu sehen. Auch die ZS nimmt einige Streifen unter die Lupe. Den Anfang macht der Doku-Thriller «The Imposter».
Er wolle lieber nicht «enjoy» sagen, so Regisseur Bart Layton bei der kurzen Vorstellung seines Films, bevor wir uns alle seinen Dokumentarfilm über gewollt verrückte Realitäten anschauten. «Einen Film über Wahrheiten, die besser passen als die Realität», wie er später beschreibt.
Layton lässt in seinem Doku-Thriller alle zu Wort kommen, die in den unglaublichsten Identitätsraub des Schwindlers Frédéric Bourdin involviert waren – auch den schillernden «Imposter» selbst.
Durch die Kinderheime Europas geschwindelt
Kurz zu den medial schon vielfach beschriebenen Tatsachen: 1994 kommt der dreizehnjährige Nicholas nicht mehr nach Hause. Nicht zum ersten Mal zwar, doch diesmal sollte ihn seine Familie im texanischen San Antonio nicht mehr wieder sehen – bis heute. Vier Jahre später jedoch wollten alle Familienmitglieder überzeugt sein, ihren verlorenen Sohn wieder zu haben. In Spanien hatte die Polizei auf der Strasse einen verängstigten Jugendlichen aufgegriffen, der sich als ihr Nicholas ausgab.
Tatsächlich war es aber Frédéric Bourdin, ein Mann Mitte zwanzig, der sich damals schon durch die Kinderheime halb Europas geschwindelt hatte. Wie er selbst erklärt, auf der Suche nach einer behüteten Kindheit, die er nie erfahren habe.
So sehr die Familie im Wunsch nach der wahr gewordenen Rückkehr über alle Unähnlichkeiten des neuen Nicholas gegenüber dem «echten» hinwegsah, taten das FBI und ein übereifriger Privatdetektiv es ihnen nicht gleich. So flog der grosse Schwindel nach etwa fünf Monaten doch noch auf.
Es gibt keine «objektive Wahrheit»
Nach dem Screening erklärte Regisseur Layton, seine Intention beim Schneiden des Films sei es ursprünglich gewesen, den Lügner Bourdin als das «Monster» darzustellen, das er seiner Meinung nach ist. Doch er entschloss sich dann doch dafür, den Zuschauer selbst urteilen zu lassen und alle Perspektiven der beteiligten Akteure gleichermassen zu beleuchten. Dass dieser Zusammenschnitt aus Interviews und wenigen szenischen Rückblenden auf das Geschehene mehr verwirrt denn aufklärt, ist dabei nicht ganz unbeabsichtigt. So muss Layton dann auch schmunzeln, als ihm eine Zuschauerin vorwirft, Bourdin erscheine in den Film neben den eher «simplen» Charakteren der texanischen Familie und der Figur des bornierten Detektivs viel zu sympathisch.
Der Regisseur gibt zu bedenken, dass es bei dieser unglaublichen Geschichte nun einmal keine «einzige objektive Wahrheit» gäbe, schliesslich ist es nach wie vor unklar, wie sich das alles abspielte. Denn auch wenn Bourdin – der, nebenbei bemerkt, auf einigen Plattformen im Internet als Selbstdarsteller recht aktiv ist – über seine «Überzeugungskunst» sehr bereitwillig Auskunft gibt, können wir seine Schilderungen unmöglich einfach als wahren Tatsachenbericht aufnehmen.
So bleibt dem Zuschauer zum Schluss ganz bildlich nur «an empty hole», das er wohl oder übel mit seiner eigens konstruierten Wirklichkeit füllen darf. Guten Gewissens sogar, wenn er bis dahin die Geduld hatte, sich alle mehr oder weniger sinnvollen «Wahrheiten» anzuhören. Einige davon erscheinen bestürzend ehrlich, andere eher lethargisch sich selbst verteidigend und letzte immer mal wieder unfreiwillig komisch. Man erzähle sich seine Realität also selbst, wenn man mag.
Regie: Bart Layton
Laufzeit: 95 Min
Erscheinungsdatum: 2012 (am 25.09. noch einmal am ZFF)
Mit: Frédéric Bourdin, Carey Gibson, Charlie Parker, Nancy Fisher
Für wen: Liebhaber unglaublicher Realitäten und guten Zuhörern.