Sprichwörter klingen manchmal doof und sind doch passend. Patrice Siegrist

Duell: Sprichwörter

Kann, wer Sprichwörter kennt, die Welt regieren oder nervt er einfach nur?

Corsin Zander (dafür) und Simeon Milkovski (dagegen)
21. September 2012

Dafür

Mit Sprichwörtern lässt sich die Welt regieren. Man braucht dafür nur zwei Eigenschaften: Mut und ein gutes Zeitgefühl. Denn dem Hahn, der zu früh kräht, dreht man den Hals um, und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Zugegeben, Letzteres gründet auf einer falschen Übersetzung von Michael Gorbatschow. Eigentlich wollte der ja sagen, dass Gefahren nur auf jene warten, die nicht auf das Leben reagieren. Und doch klingt es halt irgendwie gescheit. Das richtige Timing liegt wie die Wahrheit eben meist in der Mitte. Sich seiner Sache sicher sein sollte man trotzdem. Denn sonst wird es peinlich, wie bei Fussballtrainer Trappatoni: «Be careful the cat! No say the cat is in the sac when you have not the cat in the sac.» Das hat schon früher nicht geklappt, als Strunz bei ihm «wie die Flasche leer» war. Aber was Hänschen nicht lernt, lernt Hans eben nimmermehr.

Mit den Sprichwörtern ist es wie mit dem Altern: Es ist nichts für Feiglinge, dem Mutigen aber gehört die Welt. Genau darin liegt der Hund begraben und da trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer es versteht, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Spruch zu landen, der kann lügen, dass sich die Balken biegen, und ist dennoch, wie der Einäugige unter den Blinden, ein König.

Dagegen

An Sprichwörtern an sich kann man, wie an anderen einzelnen Sätze, nur wenig aussetzen – abgesehen vielleicht von so dämlichen Weisheiten wie «Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm». Doch viel eher nervt der, der sie in seinen Wortschatz einbindet. Sprichwörter sind der Bodensatz der gesprochenen Sprache. Der Teletext für kommunikativ Verhinderte, die zur Untermauerung ihrer «Meinung» keine eigenen Formeln finden. Zur einen Hälfte Lutherbibel, zur andern Goethes «Faust». Und dazu noch eine Prise naturalistischer Schwärmerei – so setzt sich das geflügelte Wort zusammen und nervt vor sich hin.

«Ein Sprichwort aufsagen», was macht man da? Das Faseln eines Sprichworts dient keiner ehrlichen Unterstützung, es ersetzt keine noch so kleine Expertise. «Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen» – vielen Dank auch. Ich suche einen Rat für meine Überarbeitung und keinen steifen Reim, der mir schon tausend Mal von Ignoranten an den Kopf geworfen wurde. Im besten Fall verweist das Sprichwort auf die Unabänderlichkeit gesellschaftlicher Regeln, als nachdrückliches «das läuft halt so, schon immer!». Wer also noch einen Rest Individualität behalten will, unterlässt das Sprichwortrecycling besser.