Vollzeitjob, 60 Prozent Lohn und trotzdem sehr zufrieden. Tomas Fryscak

Doktorierende zum halben Preis

Halber Lohn für Vollzeitarbeit. Doktorierende können von einem hohen Gehalt nur träumen. Tun sie aber nicht.

21. September 2012

Franziska* begann im vergangenen April einen Vollzeitjob an der ETH. Sie doktoriert dort in Mikrobiologie. Lohn erhält sie aber nur für 60 Prozent. Sie ist zwar keine Studentin mehr, aber auch noch keine richtige Arbeitskraft. Dieses Gefühl kennen viele Doktoriende in Zürich. Einen vollen Lohn erhalten nur die wenigsten.

Ein halber Lohn zum vollen Leben

Der Schweizerische Nationalfonds sieht für Doktorierende eine Entlöhnung von 50 Prozent vor, der Rest sei Ausbildungszeit. Die Uni Zürich richtet sich nach diesem Ansatz. Neben diesen 50 Prozent ist es den Doktorierenden noch möglich, zusätzlich Geld zu verdienen, indem sie in der Lehre arbeiten.

Dies ist ein markanter Unterschied zur Praxis der ETH. Sie hält bereits im Stellenbeschreib fest, dass ein Doktorierender in der Lehre mithilft. Eine zusätzliche Vergütung ist nicht garantiert. Andererseits entlöhnt die ETH ihre Doktorierenden mit einem 60-Prozent-Lohn, der aber genau gleich aussieht wie der Lohn der Uni. Konkret verdienen Doktorierende der Uni genauso wie diejenigen der ETH mit 60-Prozent-Pensum im ersten Jahr um die 3000 Franken.

Persönliche Motivation notwendig

Den Beschäftigungsgrad können die Departemente der ETH autonom handhaben. Dies führt zu krassen Lohnunterschieden. Vor allem Doktorierende der Ingenieurwissenschaften erhalten oft einen vollen Lohn. Der Grund dafür ist, dass die ETH und die Industrie um Masterabsolventen konkurrieren. Denn das Schreiben einer Dissertation ist in jenen Metiers nicht üblich, wie Hans Meier von der Personalabteilung der ETH erklärt. Wo dies hingegen unerlässlich ist, zum Beispiel bei den Chemikern, macht ein Beschäftigungsgrad von 60 Prozent das Doktorat für mehr Studierende zugänglich. «Man darf nicht ausser Acht lassen, dass Doktorierende noch immer in Ausbildung stehen», sagt Meier. Er spricht deshalb lieber von einer Doktorandenentschädigung als von einem Lohn. «Doktorieren erfordert viel intrinsische, nicht nur finanzielle, Motivation», meint er.

Zufrieden mit dem Status quo

Die gängige Praxis mag auf den ersten Blick unfair wirken. Doch die Doktorierenden stören sich daran nicht. Pragmatisch sagen die meisten auf Anfrage, dass ihnen der 60-Prozent-Lohn für ein anständiges Leben genüge. Zumindest an der ETH kommen ausserdem viele Doktorierende aus dem Ausland. Diese haben auch den Vergleich mit der Heimat im Hinterkopf, wo sie gemäss eigenen Angaben viel weniger verdienen würden.

Diese Aussagen stützt auch eine noch nicht veröffentlichte Personalbefragung der ETH. Thomas Vogel, Prorektor des Doktorats der ETH, verrät exklusiv deren positive Bilanz.

Freude an der Arbeit ist es auch, die für Mikriobiologie-Doktorandin Franziska im Vordergrund steht. Ungerecht behandelt fühlt sie sich von niemandem.

*Name der Redaktion bekannt.