Dylan Spencer-Davidson näht an seinen Unterhosen. Helen Mackreath

Die Unterhosen-Gang

Das Werk von Dylan Spencer-Davidson ist viel wert, aber nicht käuflich: die Mitgliedschaft in einer Gang.

21. September 2012

«In the summer of 2012 I started a gang», verkündet Dylan Spencer-Davidson auf seiner Webseite. Dazu ist die Fotografie von Boxershorts zu sehen, deren Besitz die Mitgliedschaft begründet.

Dieselben handgefertigten Kleidungsstücke stellte der junge Künstler in der Galerie ARTseefeld im Juli und August während der fünften «young at art» Ausstellung aus. Im Gegensatz zu allen anderen Werken, waren die bunten Boxer für die Besucherinnen und Besucher nicht käuflich. Statt zu zahlen, mussten sie zum Erhalt des Kleidungsstücks einen Vertrag unterzeichnen, in dem sie sich verpflichteten, von nun an nach den Werten der Gang zu Leben.

Mitglied einer Gang

«Bande», das deutsche Wort für Gang, stammt aus dem Französischen und bezeichnete ursprünglich eine Gruppe von Kriminellen. Noch heute reizt das Wort mit der Verlockung des Gefährlichen, mit Schutz gegen aussen und Stärke gegen innen. Mit Zeichen und Codes, die Mitglieder ein- und Gegner ausschliessen.

Spencer-Davidsons Gang ist jedoch weder gewalttätig noch ausschliessend. Der exotische Stoff der Boxer und die säuberlich eingenähten Value-Etiketten ironisieren den Bandenkult. Das Kleidungsstück ist ein spielerischer Verweis auf geheime Zeichen der Zugehörigkeit und die intimen Gefühle, die mit diesem Thema verbunden sind.

Wer die Boxer trägt, soll die Werte der Gang zelebrieren, verkündet Spencer-Davidson. Niemand weiss, was die anderen Mitglieder machen oder wer sie sind. Nicht einmal der Künstler selbst führt Buch über die unterzeichneten Verträge. Die Mitglieder wissen, dass sie dabei sind. Wie sie ihre Mitgliedschaft zelebrieren und wie sie die Werte interpretieren, ist ihnen selbst überlassen.

Rhizomorphe Strukturen

Im Gespräch erwähnt der junge Künstler das Konzept des Rhizoms aus Gilles Deleuzes und Félix Guattaris «Mille Plateaux». Etwa so stellt er sich die Struktur seiner Gang vor: als eine Bande, die keine Dichotomien bildet und sich nicht entlang einer Hauptachse entwickelt. Im Rhizom kann jeder Punkt mit jedem anderen verbunden werden. Einstiegs- oder Zugangsmöglichkeiten gibt es viele. Und Rhizome sind resistent. Ein Rhizom kann an jeder Stelle unterbrochen und zerrissen werden, ohne zu verenden. So bilden Ameisen rhizomorphe Strukturen, die sich auch dann noch weiterentwickeln, wenn der grösste Teil davon zerstört ist.

Auch Spencer-Davidsons Gang folgt horizontalen Strukturen. Es gibt keinen Anführer und keine vertikalen Informationsketten. Jedes Mitglied ist frei, beizutreten, auszutreten und die Werte allein oder zusammen mit anderen Mitgliedern zu zelebrieren. Wie dies geschieht, ist nur von der eigenen Interpretation der Gang-Values bestimmt. Der Künstler selbst ist gleichberechtigtes Mitglied der Gang. Er hat die Werte der Gang verfasst, doch ihr Anspruch ist universell.

Goldene Werte

Als gold-gelb schimmernde Etikette ist das kleine Manifest der Gang-Werte auf der Innenseite der Shorts eingenäht. Die Werte klingen jugendlich romantisch, «purely guided by intuition» soll man sein und emporsteigen «to the impossible challenge» – «now now go now». Der Künstler verzichtet auf eine nummerierte Auflistung der Werte wie bei herkömmlichen Manifesten. Stattdessen fliessen diese in Form eines Gedankenstroms, ohne Punkt und Komma, mit Doppelungen und Metaphern über den glänzenden Stoff.

Sein Manifest ist keine Bibel, die einen Gott beschwört, und keine politische Agenda, die sich lexikalisch auflisten liesse. Hauptziel der Gang ist es, möglichst lange zu überleben. «Das schlechteste an Gangs ist, dass sie meist nicht ewig halten, weil sie falsch organisiert sind», sagt Spencer-Davidson. Die Form der Gang muss daher dynamisch sein, die Grundwerte sollen an die eigenen Ideale und Ziele appellieren und dennoch verbinden.

Stark wie die Ameisen

Der junge Künstler, der gerade seinen Abschluss am Royal College of Art in London gemacht hat, schlägt mit seinen Werken einen Bogen von Kult zu der Möglichkeit, Dinge weiterzudenken. Ein Flyer mit androgynen Romeo und Julia. Nostalgiebehaftete Gegenstände, die er als elektronische Musikstücke vertont. Und die Gang-Boxer, für die Spencer-Davidson den Spieltrieb der Kunst nutzt, um leichtfüssig und augenzwinkernd die Utopie einer völlig freien und dennoch starken Gemeinschaft weiterzudenken.

Der Zugang ist für alle frei und für niemanden käuflich. Ihre Entwicklung folgt keinem Plan. Denken und Handeln der Mitglieder bestimmen Tempo und Aktivität. Und gleich einer Ameisengesellschaft ist die Gang fast unzerstörbar. Das Konzept mag naiv erscheinen, doch appelliert es an die einzige Alternative zu Befehl und Gehorsam – an das Vertrauen zwischen den Mitgliedern.

www.dylanspencerdavidson.com