Das Bier floss am Openair St. Gallen in grossen Mengen. Screenshot semestra.ch

«Ich war gar nicht da»

Sie sind viel. Sie sind laut. Und sie sind jedes Jahr wieder da. Sauftruppen beehren sämtliche Openair-Festivals im In- und Ausland. Unser Reporter verfolgte am Openair St. Gallen eine solche Gruppe.

10. Juli 2012

Ankunft am St. Galler Bahnhof. Drei unscheinbare Festivalgänger steigen aus dem Zug. Ihr erster Gang führt zum nahegelegenen Denner. «Zuerst müssen wir Hochprozentiges tanken. Erst dann kanns losgehen!», meint Windy. In vom Grossdiscounter bereitgestellte Pet-Flaschen füllen sie klebrig-farbige Schnäpse ab. Einer von ihnen leert Zucker in eine Flasche mit Absinth und Mineralwasser. Die aus der Flasche schiessende Fontäne sorgt bereits für die ersten Lacher.

Unausgegorene Gaunertricks

Im Sittertobel angekommen werden Ace, Windy und Iron auf dem Zeltplatz ihrer Freunde grölend empfangen. Im Hintergrund hängt wie letztes Jahr ein Banner von Penelope Cruz. Die versprochene Überraschung bei der Platzverzierung bleibt aus. «Wen kratzt es?», moniert Ace. «Wir sind doch eh nur zum saufen hier!» Gegen Abend zieht der wilde Tross betrunkener Männer los. Die Stimmung ist famos. Vor einem Bierstand verkündet Igor, ein weiterer Saufbruder, dass er nun seinen Trick, den Sierra Tequila, durchführen werde. «Wir werden damit heute Abend keinen Rappen für unser Bier bezahlen!», verspricht er. Für den Sierra Tequila bestellt er an der Bar einen Drei-Liter-Pitcher und gibt ihn an seine Freunde weiter. Diese laufen mit dem Pitcher davon. Igor bestellt an der Bar zusätzlich einen Tequila. Während der Barkeeper diesen am anderen Ende der Bar ausschenkt, will er sich ohne zu bezahlen aus dem Staub machen. Mit dem Pitcher in der Hand warten Ace, Windy und Iron gespannt auf Igor. Dieser kommt zwei Minuten später dazu und steckt gerade sein Rückgeld ins Portemonnaie. «Scheisse, der Penner wollte gleich einkassieren!» Das hämische Gelächter seiner Kumpane erstickt erst beim Ansetzen des Biers. Im Verlauf der Nacht fällt die Truppe allmählich auseinander. Iron wird zuletzt gesehen, als er ein kurzhaariges Indie-Girl auf dem Rücken davontrug und Ace ist sonstwo in der Masse untergegangen.

Am nächsten Morgen herrscht Ernüchterung am Zeltplatz. Drei Alkoholleichen liegen irgendwo im Stroh. Es riecht nach gebratenem Fleisch und verbranntem Plastik. Irgendwann kommt Iron aus dem Zelt gekrochen und erzählt vom kurzhaarigen Indie-Girl. «Die war voll crazy. Sie wollte immer, dass ich sie beisse. Als ich sie gebissen habe, schlug sie mir ins Gesicht, lachte und leckte sich mit der Zunge die Lippen ab.» Am Kaffeestand unweit des Zeltplatzes treffen sich die infernalen Buben wieder und frönen ihrem Kater. Den Rest des Tages verbringen sie mit ihren klebrigen Alkflaschen am Zeltplatz. Gegen Abend raffen sie sich wieder auf und beginnen von neuem ihre Streifzüge über das Openair-Gelände. Es folgen ähnliche Geschichten mit noch mehr Alkohol.

Wegen der Musik ist keiner hier

Der Sonntag hat es in sich. Schlafmangel und der Kater eines ganzen Wochenendes hinterlassen ihre Spuren. Iron schlief in den letzten drei Tagen nur vier Stunden. Das macht sich im Bierzelt eines St. Galler Handballvereins bemerkbar. Iron hechtet über die Bar zum Zapfhahn und versucht sich daraus Bier in den Mund zu giessen. Zwei Vereinsdamen im Frondienst verhindern dies aber und schlagen ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Danach versucht Iron Stimmung im Zelt zu machen, indem er sein Portemonnaie und sein Handy auf den Boden knallt. Einige illustre Gesellen tun es ihm gleich. Sie kommen zu Windy und Ace, denen es sichtlich unwohl wird in ihrer Haut. Ein hagerer Kick-Box-Typ mit Drogentasche um den Bauch fragt Windy: «Na Spacko? Kleines Kämpfli gefällig?» Dieser lehnt dankend ab und verlässt das Zelt. Ace und Iron tun es ihm gleich. Zusammen gehen sie zurück zum Zeltplatz, wo sie Igor eingewickelt in die Penelope-Cruz-Fahne vorfinden. Auf demolierten Campingstühlen sitzen einige im Kreis und kalauern um die Wette. Auf die Frage, welche Konzerte sie an diesem Openair gesehen hätten, antwortet Ace programmatisch: «Keine Ahnung. Das ganze Wochenende ist wie ein blauer Dunst an mir vorbeigezogen. Ich war gar nicht da.»

Festival Hikers am St.Gallen 2012