Flyer der Veranstaltung.

Recht ohne Grenzen

Die Kampagne «Recht ohne Grenzen» fordert Regeln für Schweizer Konzerne, die im Ausland tätig sind. In einer Podiumsdiskussion haben Experten Problemfelder und Lösungsansätze beleuchtet.

9. Mai 2012

Randvoll war gestern der Saal im Uni Hauptgebäude. Die Veranstalterinnen Nina Astfalck und Corinne Reber von der Zürcher Hochschulgruppe von Amnesty International, schienen überrascht zu sein, über das grosse Interesse an der Veranstaltung. Dabei ist die Forderung der Petition «Recht ohne Grenzen» gerade daher so dringlich, weil sie eine ist, die die meisten Menschen als selbstverständlich erachten würden: Es soll für Firmen mit Sitz in der Schweiz klare Regeln zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz geben. Und das auch über die Schweizer Grenzen hinaus. Diese Forderung wird dem Bundesrat und dem Parlament Mitte Juni als Petition überreicht.

Dass genau diese Forderung in der Realität oft nicht eingehalten wird, wurde von den Medien am Beispiel Glencore erst kürzlich wieder facettenreich veranschaulicht. Was genau kann und soll also der Bund und die Konzerne machen, welche Instrumente gibt es bereits und wie sehen die konkreten Lösungsvorschläge der Initianten aus? Das waren die Fragen, die Yves Wegelin (WOZ), der die Diskussionsrunde leitete, den PodiumsteilnehmerInnen stellte.

Die Opfer der «Multis»

Danièle Gosteli, Verantwortliche für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz, machte den Einstieg und schilderte eindrücklich Erfahrungen, die Arbeitskräfte von in der Schweiz ansässigen Firmen im Kongo und Sambia machten. Gewalt sei an der Tagesordnung. Prozesse gegen die Rechtsübertritte der Firmen gebe es kaum. Und wenn einmal einer der schwer fassbaren «Multis» zu Rechenschaft gezogen würde, laufe es in der Regel auf eine aussergerichtliche Einigung hinaus. Das heisst: Keine Verurteilung der Verantwortlichen, keine Rechtsprechung auf die sich andere Opfer beziehen könnten, zu wenig Geld und Genugtuung für die Opfer. Es müsse Regeln geben, an die sich Unternehmen zu halten hätten und die einklagbar seien, meint Gosteli.

Auch Recht hat Grenzen

Auf die Frage, was der Bund für den Einhalt von Rechtsverstössen im Ausland durch Schweizer Firmen tue, verwies Corrina Morrissey vom Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), auf die Arbeit an freiwilligen Standards für Unternehmen. Auch damit liessen sich Erfolge erzielen.

Die Diskussion darüber, ob freiwillige oder zwingende Regeln für Unternehmen effektiver seien, war einer der Hauptstreitpunkte der gestrigen Runde. Thomas Pletscher von Economisuisse hält den Ansatz der Petition nicht nur für verfehlt, sondern für schädlich. Die Durchsetzung von Schweizer Standards im Ausland sei faktisch nicht möglich und würde zu Eingriffen in ausländische Rechtsordnungen führen, die weder goutiert noch akzeptiert würden. Das bestätigte auch Christine Kaufmann, Professorin für Völker- und Europarecht an der Universität Zürich. Zudem fürchtet Pletscher, dass die konkrete Formulierung einklagbarer Tatbestände zu einer Senkung des Schutzniveaus führen würde. Je konkreter eine Regelung sei, desto mehr Angriffspunkte biete sie und desto schwerer sei es, darüber einen Konsens zu finden.

Auch Kaufmann wies auf rechtliche Problemfelder hin, welche die Ausformulierung einer Forderung mit sich bringen kann. Schon die Definition einer «Schweizer Firma» bereite in der Praxis Schwierigkeiten. Ist ein Tochterunternehmen einer Schweizer Firma im Kongo eine kongolesische Firma oder – weil sie wirtschaftlich betrachtet von der Schweiz aus kontrolliert wird – eine Schweizerische? Dabei stellt sich auch die Frage, wer für die Auslegung eines solchen Begriffes zuständig wäre und wer über die Zuständigkeit bestimmt.

Freiwilligkeit als Alternative

Erste gute Erfahrungen, so Kaufmann, habe man tatsächlich auch mit Abkommen gemacht, die auf indirektem Weg Firmen zu menschenrechtskonformem Verhalten veranlassen würden. Als Beispiel nannte sie die Oslo Konvention. Diese verbietet sowohl die Produktion von Streumunition als auch deren direkte und in der Schweiz auch deren indirekte Finanzierung. Die Umsetzung der Konvention liegt jedoch bei den Unternehmen. Eine Schweizer Bank müsse selber Entscheiden, ob sie in eine Firma investieren wolle, die zwar vielversprechend Golfschläger produziere, aber auch Streumunition herstelle, meinte Kaufmann. Ähnlich funktioniere auch der International Code of Conduct for Private Security Service Providers. Die darin festgelegten Standards für private Sicherheitsfirmen sind soft law, basieren also auf Freiwilligkeit. Die Staaten haben aber die Möglichkeit, die Einhaltung des Codes als Bedingung in einen Vertrag aufzunehmen, den sie mit einer Sicherheitsfirma abschliessen. So erreichten freiwillige Standards einen verbindlicheren Charakter, bemerken Morrissey und Pletscher. Regelungen die präventiv wirken, können zu einem höheren Schutz führen, ohne sich der Problematik der Durchsetzbarkeit stellen zu müssen.

Druck von Aussen, Druck von Unten

Auch die Ruggie-Prinzipien (siehe Kasten), an denen sich die Kampagne orientiere, enthielten verbindliche aber auch freiwillige Prinzipien, so Gosteli. Die Kampagne ziele nicht darauf ab, neues Recht zu schaffen. Man wolle aber mit der bestehenden Rechtordnung zu einem besseren und vor allem effektiveren Schutz gelangen, betonte sie. In der EU sei die Umsetzung der Ruggie-Prinzipien in nationales Recht bereits Thema, bemerkte Kaufmann. Die Schweiz war finanziell und personell an der Erstellung des Ruggie-Berichts beteiligt. Die Mischung aus freiwilligen und verbindlichen Prinzipien, die der Bericht vorschlägt, könnte als Vorbild für ein Schweizer Modell dienen, schienen sich – wider Erwarten – plötzlich alle einig zu sein.

Auch einig waren sich die DiskussionsteilnehmerInnen über die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft als «watch dog». Der «Druck von der Strasse», wie Pletscher es nannte, sei eines der effizienteren Mittel, um Firmen dazu zu bringen sich an Spielregeln zu halten. Die Arbeit der NGO’s und der Medien sei wichtig, um die Debatte virulent zu halten und Firmen und Staaten zum Tätigwerden zu bewegen, gab man kanonisch zu verstehen.

Was kostet ein Leben?

Einmal mehr stellte sich die Frage, wer die Verantwortung trägt und wer sie übernimmt: Der einzelne Staat, die gesamte Staatengemeinschaft, die Unternehmen, die Aktionäre, die Zivilgesellschaft? Auch wenn reihum die Verantwortung aller Akteure betont wurde, war man sich über die Verteilung der Verantwortung uneinig. Morrissey schwieg – oder war neutral. Gosteli wünschte – dass Firmen sich auch ohne Druck von Aussen an Menschenrechte halten würden. Pletscher fürchtete – dass die Firmen die Forderung der Petition als Provokation verstehen würden, was zur Verhärtung der Fronten und letztlich zur Abwanderung von Firmen ins Ausland führen werde. Und Kaufmann hoffte – dass die Wahrnehmung der staatlichen Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schweizerische Unternehmen für die Gewährleistung von Menschenrechten einstehen, Firmen mehr Anreiz statt Abschreckung biete.

Die Frage, die hinter der ganzen Debatte steht, kam zum Schluss aus dem Publikum: Was würde es die Schweiz und die Unternehmen kosten, Menschenrechte im In- und Ausland einzuhalten? Oder anders: Welchen Preis haben Menschrechte.

Zur Person

John Ruggie war während sechs Jahren (2005-2011) Sonderbeauftragter für Menschenrechte und Transnationale Unternehmen der UNO. In seinem Bericht von 2011 präsentierte er Leitlinien «guiding principles» für die Implementierung des «Protect-Respect-Remedy»-Konzept, welches er im Laufe seiner Arbeit erarbeitet hatte. Die Leitlinien sollen kein neues Recht schaffen, sondern sind die erweiterte Ausarbeitung bereits bestehender Standards. Sie richten sich an Staaten und Unternehmen. Ruggies Konzept besteht darin unter den Pfeilern Protect (Schutz), Respect (Rücksicht), Remedy (Rechtsmittel) sowohl präventiv als auch effektiv Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu gewährleisten.