Wenn sich Kunst der Technik des Journalismus bedient. alcramer.net

Journalistische Kunst oder kunstvoller Journalismus

Der Künstler Alfredo Cramerotti stellt an einer Lesung in Zürich die Frage, was passiert, wenn sich Kunst der Technik des Journalismus bedient.

9. Mai 2012

Wenn die Presse über neue Ereignisse informiert werden soll, findet in der Regel eine Medienkonferenz statt. In der Kunst hingegen geht neu Entstandenes meist direkt an die KonsumentInnen. Das kann in Form einer Ausstellung, einer Performance passieren. Oder – wie kürzlich – an einer Lesung. Alfredo Cramerottis präsentierte im «Corner College», einem kleinen Kunstraum an der Kochstrasse, Überlegungen zu einem Phänomen, das er «Aesthetic Journalism» nennt.

2003 bekam Cramerotti den Auftrag, nach Istanbul zu reisen und ein Kunstwerk zu schaffen, das die Verbindung zwischen Europa und Asien thematisiert. Kunst auf Anfrage, die dann an einer bestimmten Ausstellung gezeigt wird, ist eine gängige Art der Kunstproduktion.

Zurückgekehrt ist der Künstler mit einem Haufen Interviews, Texten, Fotografien, Grafiken, Schlagwörtern und Titeln, rund um die Brücken in Istanbul. Wie ein Journalist, sei er sich vorgekommen, nur dass aus dem Material keine Story, sondern ein audio-visuelles Kunstwerk entstehen sollte.

Keine Regeln der Kunst

Daraufhin habe er angefangen, sich mit den Verbindungen zwischen Kunst und Journalismus auseinanderzusetzen. Kunst und Journalismus seien Kommunikation. Beide wurzelten in einer humanistischen Tradition, in der Idee Wahrheit und Erkenntnis zu vermitteln, meint Cramerotti. Während sich im Journalismus jedoch Regeln herausgebildet hätten, um eine objektive Validierung von Ereignissen und Entwicklungen der Gesellschaft vorzunehmen und zu vermitteln, sei die Kunst frei.

Doch welchen Wert haben Informationen, die durch journalistische Arbeit entstanden sind, wenn sie in freier Form – beispielsweise ohne den Nachweis auf verlässliche Quellen – präsentiert werden? Sind Regeln nicht die Voraussetzung, um Informationen in einen Kontext zu setzten, um sie zu verstehen? Was ist der Wert von Kunst, die sich verhält wie Journalismus, aber keiner ist?

Die Wahrheit über die Wahrheit

Cramerottis Antwort ist nicht neu. Während sich der Journalismus einer vermeintlich objektiven Wahrheit verpflichte, könne die Kunst – indem sie keinen festen Regeln folge – eben diese Objektivität in Frage stellen. Es sei nicht die Möglichkeit der Kunst, die Fakten und Informationen selbst zu präsentieren, sondern die Funktionsweisen der Entstehung und Präsentation medial transportierter Informationen aufzuzeigen.

Alfredo Cramerotti weist der Kunst damit eine Metafunktion zu; die Erkenntnis über die Erkenntnis darzustellen, oder die Wahrheit über die Wahrheit zu ergründen. Wenn die Kunst sich dafür jedoch derselben Mittel bedient, wie dies auch der Journalismus tut, würde das bedeuten, dass nur die Form der Präsentation darüber bestimmt, ob eine Information als Wahrheit, oder als Reflexion über diese Wahrheit anerkannt wird.

Eine Frage der Perspektive

Natürlich ist die Realität kein Fakt, sondern eine wählbare Möglichkeit unter Anderen. Damit ist auch die Möglichkeit gegeben, dieselben Tatsachen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und darüber zu unterschiedlichen Erkenntnissen zu gelangen. Alfredo Cramerotti erlebte bei der Arbeit für sein Istanbuler Werk letztlich nichts anders. In dem Moment, als sich seine Arbeit nicht als Berufung, sondern als Auftrag präsentierte, erkannte er seine Arbeitsweise als eine Andere als bisher – eine Journalistische.

Das Buch zur Lesung:

Alfredo Cramerotti: Aesthetic Journalism: How to inform without informing, Intellect Books & büchs’n’books — Art and Knowledge Production in Context, Volume 2