Katharina Michaelowa: Man kann am IWF viel kritisieren, aber die pauschale und plakative Argumentation geht häufig an den eigentlichen Schwierigkeiten vorbei. zvg

«Ich kann leider auch kein Zaubermittel vorschlagen»

Katharina Michaelowa kann die linke Kritik am IWF nur begrenzt nachvollziehen. Aus der Sicht der Professorin für Politische Ökonomie halfen die IWF-Interventionen meist den betroffenen Ländern.

30. April 2012

Frau Michaelowa, der Inernationale Währungsfonds (IWF) ist bekannt dafür verschuldeten Staaten Kredite zu vergeben. Dies aber nicht ohne Auflagen. Die Kreditnehmer müssen eine massive Sparpolitik betreiben, Privatisierungen im öffentlichen Bereich durchführen und die Finanzmärkte liberalisieren. So auch beispielsweise Griechenland. Ist das überhaupt Sinnvoll in Krisenzeiten?

Das Problem ist immer, die Art und Hintergründe der Krise richtig zu identifizieren. In der Grossen Depression (1929, Anm. der Redaktion) war das Problem, dass die Nachfrage völlig ausfiel. In einer solchen Situation kann restriktive Wirtschaftspolitik die Lage nur verschlimmern. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte Keynes seine Politik zur Ankurbelung der Nachfrage, bei der die Staatsausgaben erhöht werden müssen, um aus der Krise herauszukommen.

In Griechenland haben wir hingegen es mit einer Situation zu tun, in der langfristige Misswirtschaft und Überschuldung zu einem Vertrauensverlust führten. Hier muss man tatsächlich an den Grundlagen arbeiten, um wieder Vertrauen in die griechische Wirtschaft herzustellen. Daher ist eine klare Sparpolitik unvermeidlich.

Die Situation ist natürlich ganz anders, wenn es sich um eine rein spekulative Attacke handelt, welche dann zur Flucht aus der Währung führt. Dies haben wir im Rahmen der Asienkrise (1997) bei einigen Ländern gesehen, welche kurz zuvor noch gerade für ihre verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik gelobt wurden. Manchmal ist es aber auch nicht ganz einfach zu entscheiden, welchen Anteil die strukturellen Probleme einer Volkswirtschaft an der Krisensituation haben. Je nach Land sind die Gründe für Krisen oftmals sehr unterschiedlich.

Würde es bessere Ansätze geben, aus der Krise zu kommen, welche die Politikerinnen und Politiker übersehen?

Ich kann leider auch kein Zaubermittel vorschlagen.

Wem nützen IWF-Interventionen hauptsächlich?

In der Regel überwiegend den von der Krise betroffenen Ländern und denen, die sich in Ansteckungsgefahr dieser Krisen befinden. Auch bei der Asienkrise gab es viel Kritik am IWF. Doch letztendlich haben sich die Länder wieder gefangen, was sicherlich auch der IWF als Erfolg verbuchen kann. Dennoch bleiben gewisse Probleme der «Moralischen Versuchung». Wenn beispielsweise Banken (auch anderer Länder), die von vornherein riskante Transaktionen vorgenommen haben, durch äusseres Eingreifen besser gestellt werden und somit in Zukunft noch mehr zu derart risikoreichem Verhalten angeregt werden. Das gilt aber auch, wenn die Unterstützung nicht vom IWF kommt, sondern zum Beispiel von der EU.

Kürzlich erhöhten IWF-Mitglieder die sogenannte Brandmauer des IWF für die Krisenabwehr der Eurozone um 400 Milliarden. Wieso?

Es muss genug Geld zur Verfügung stehen, um das Vertrauen der Marktteilnehmer wieder herzustellen. Es soll niemand mehr annehmen, dass es zu Problemen bei der Rückzahlung von Krediten kommt. Und es muss als sicher gelten, dass ein starker Wertverlust des Euro gegenüber anderen Währungen gegebenenfalls durch Verkäufe von Fremdwährung und Ankäufe des Euro verhindert werden kann. So soll die Kapitalflucht aus Griechenland und auch die Flucht aus dem Euro gestoppt werden.

Wie funktioniert eine solche Brandmauer und hat sie nach ihrer Einschätzung nun genügend Geld um die Krise einzudämmen?

Wie bereits erwähnt geht es letztlich um das Vertrauen der Marktteilnehmer. Vermutlich müsste man eher Psychologe sein, um das gut zu beantworten.

Im Zuge der Aufstockung der Gelder, forderten die grossen Schwellenländer mehr Mitspracherechte im IWF. Hat der IWF ein Demokratieproblem?

Im Prinzip sind beim IWF ja die Stimmrechte an die Beiträge gekoppelt, aber die Anpassung verläuft nicht automatisch. Das ist ein gewisses Problem. Insbesondere China verfügt über einen grossen Handelsbilanzüberschuss und sehr hohe Ersparnisse. Man wird daher von China zunehmend einen erheblichen Beitrag zur Lösung solcher Probleme verlangen und daher sollte China auch grössere Mitspracherechte haben.

Der Besuch von Christine Lagarde an der Uni Zürich erhitzt die Gemüter einiger linker Studis. Sie kritisieren, dass der IWF undemokratisch sei und ein Machtinstrument der reichen Staaten. Was halten Sie davon?

Letztendlich ist der IWF für mich eine Bank. Da macht es Sinn, dass jene die Verantwortung tragen, welche die Gelder vergeben und nicht diejenigen, welche die Kredite aufnehmen. Damit das System überhaupt funktionieren kann, muss sicher gestellt werden, dass Kredite zurückgezahlt werden. Die allgemeine Demokratiediskussion kann ich daher in diesem Kontext nicht so gut nachvollziehen.

Wenn aber in Zukunft ärmere Länder wie China mit ihren Beiträgen die sehr viel wohlhabenderen EU-Länder finanzieren, dann muss man in der Tat eine Anpassung der Stimmrechte vornehmen. Erste Schritte dazu gibt es ja bereits.

Was halten sie von der Kritik, dass der IWF die Privatisierung der Bildung vorantreibt?

Ich weiss nicht genau, worauf Sie hier anspielen. Der IWF hat eigentlich keine besonderen Kompetenzen im Bildungsbereich. Wenn Sie meinen, dass die Auflagen hinsichtlich restriktiver Fiskalpolitik zuweilen zu einem Druck auch auf das staatliche Bildungsbudget führen (was wiederum zu einer stärkeren Privatisierung im Bildungsbereich führen kann), so trifft das sicherlich zu. Ob so etwas sinnvoll ist oder nicht, hängt sehr davon ab, welche Art von Bildung es betrifft und welche Bevölkerungsschichten. Wenn arme Entwicklungsländer dadurch die Förderung der Grundbildung zurückschrauben müssen, ist es unter Umständen äusserst problematisch. Es kann dabei auch zu Widersprüchen zwischen verschiedenen Geberpolitiken kommen, wenn zum Beispiel bilaterale Geber Budgethilfe für den Bildungssektor leisten und der IWF dann durch Auferlegung sektoraler Budgetschranken dafür sorgt, dass diese Gelder dem Bildungsbereich gar nicht zugute kommen können.

Ist also die Kritik von Globalisierungsgegnern und Linken am IWF nicht gerechtfertigt?

Es gibt ziemlich viel, was man am IWF kritisieren kann (wie im Übrigen an allen grösseren Organisationen) – und keineswegs nur von Seiten der Linken. Das manchmal etwas pointiert zu tun, kann helfen, Aufmerksamkeit zu erregen, Transparenz zu schaffen und Diskussionen in Gang zu setzen. Das ist sehr wichtig. Gleichzeitig darf man nicht übersehen, dass wir es jeweils mit sehr komplizierten Entscheidungen zu tun haben und die pauschale und plakative Argumentation dann häufig auch an den eigentlichen Schwierigkeiten vorbei geht.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Zur Person

Katharina Michaelowa ist seit September 2006 Professorin am Institut für Politikwissenschaft. Sie besetzt den Lehrstuhl für Politische Ökonomie der Entwicklungs- und Schwellenländer. An den Universitäten Mannheim und Delhi studierte sie Volkswirtschaftslehre und habilitierte 2006 an der Universität Siegen.