Vom Leben auf tragische Weise gebeutelt: Roberto (Ricardo Darin) und Jun (Ignacio Huang). cineman.ch

Ein argentinisches Ammenmärchen

Sebastian Borenszteins Tragikomödie «Un cuento chino» lebt von den unwahrscheinlichsten Geschichten, in die uns das Leben verwickelt. Der Film läuft in den Arthouse-Kinos.

20. April 2012

Der Film lockte in Argentinien Millionen in die Kinos, wohl nicht zuletzt dank des Hauptdarstellers Ricardo Darín. Der Titel «Un cuento chino» bedeutet soviel wie «Ammenmärchen» und gibt sowohl Auskunft über Inhalte als auch Hinweise auf die Entstehungsgeschichte des Films. Denn es war eine Meldung der argentinischen Tageszeitung «Clarín» über eine Kuh, die vom Himmel herab auf ein japanisches Fischerboot stürzte, welche den darüber entzückten Regisseur Borensztein zum Schreiben des Drehbuchs inspirierte.

In seinem Film ist es der eigenbrötlerische Eisenwarenhändler Roberto (Ricardo Darin), der auf der Suche nach solchen Artikeln über die Kuriositäten des Lebens täglich einen Stapel an Zeitungen durchforstet. Dabei gefallen dem misanthropisch veranlagten Mittfünfziger von tiefschwarzem Humor geprägte Meldungen im Speziellen. So eben auch die Begebenheit mit der Kuh, die im fernen China auf ein Boot fällt.

Von dort hat sich der einsame und verlassene Jun (Ignacio Huang) aufgemacht, um in Buenos Aires seinen ausgewanderten Onkel zu finden. Er stösst jedoch in völliger Unkenntnis der Sprache und Kultur sehr bald an seine Grenzen. Doch auch Roberto, der den jungen Chinesen von der Strasse aufgelesen hat, sieht sich plötzlich in einem inneren Konflikt, denn der chinesische Onkel ist nicht auffindbar. Den Verwaisten, mit dem er sich kaum verständigen kann, einfach wieder vor die Tür zu stellen, bringt aber auch der Einzelgänger nicht übers Herz. Und so sieht er sich tatsächlich gezwungen, den Fremden vorübergehend aufzunehmen.

Der Film lebt von den nun absehbaren kulturellen – insbesondere sprachlichen – Barrieren. Ja er schlachtet diese geradezu aus, wie man es in Argentinien gerne mit den Innereien von Rindern macht, um eine Delikatesse präsentieren zu können.

Hervorragend ist dabei die schauspielerische Leistung von Ricardo Darín (international bekannt aus dem oscarprämierten Film «El secreto de sus ojos») als miesepetrigen Pedanten, der in einer Packung jede Schraube nachzählt, um immer wieder den Betrug der Hersteller zu beweisen.

Beim Versuch, den lästigen Gast wieder loszuwerden, der ihn seiner Einsamkeit beraubt hat, helfen sich die beiden Alleingelassenen – und vom Leben auf tragische Weise Gebeutelten – gegenseitig, wieder in die Spur zu kommen.

Dass das Drehbuch, obwohl auf unwahrscheinlichsten Verflechtungen aufgebaut, einen ziemlich absehbaren Verlauf nimmt, fällt nicht allzu schwer ins Gewicht. Der Film ist zumindest für Freunde des feinen und manchmal auch für solche des schwarzen Humors schlicht zu amüsant.

Bei uns läuft er aktuell in den Arthouse-Kinos in Originalsprache mit erfrischend frankem Untertitel. Der deutsche Titel «Ein Chinese zum Mitnehmen» ist dabei wohl einer anderen Art von Übersetzern zum Opfer gefallen.

Regisseur: Sebastián Borensztein

Laufzeit: 93 Minuten

Erscheinungsdatum: 2012 (aktuell im Kino)

Schauspieler: Ricardo Darín, Ignacio Huang, Muriel Santa Ana u.a.

Für wen: Für alle, die knappe scharfzüngige Dialoge und nonverbale Ironie lieben; kurz gesagt, alle, die einem Akt des dunkler gefärbten Humors frönen wollen.