Brachten einen Hauch von Karnevalsstimmung mit: Die Portugiesen von Buraka som Sistema. m4music.ch

Rückzug auf allen Fronten

Trotz einem Besucherrekord hat das Musikfestival M4Music gezeigt: Die Schweizer Musikindustrie steht nicht nur vor der Frage, woher künftig das Geld kommen soll. Auch innovative Nachwuchskünster sind eine Seltenheit.

27. März 2012

Noch nie sind so viele Besucher an ein M4Music-Festival gekommen: 6600 Zuschauer besuchten die Konzerte von 53 Acts, davon 34 Schweizer. Ein voller Erfolg, meint das Festival: «M4Music hat gezeigt, wie vital und vielfältig die Schweizer Popmusikszene heute ist. Das Festival hat tolle Auftritte von Schweizer Bands wie Boy oder Bastian Baker erlebt. Darüber hinaus bot das Festival wie jedes Jahr eine Plattform für viele interessante Diskussionen in den Workshops und informelle Gespräche», lässt Festivalleiter Philipp Schnyder von Wartensee verlauten.

Krach und leise Töne

Abends war Party angesagt, keine Frage. Das wie immer gekonnt kuratierte Programm präsentierte einen überlegten Mix aus progressiven, aber auch älteren Künstlern, aus Krach und leisen Tönen. Das Berliner Elektronikduo Modeselektor spielte ihren stampfenden Elektro vor ausgeklügelten und witzigen Visuals; die Portugiesen von Buraka som Sistema brachten einen Hauch von Karnevalsstimmung mit, und vor dem Konzert des Songwriter-Duos Boy, das in der kleinen Moods-Halle über die Bühne ging, standen die Besucher Schlange bis fast zur Garderobe (und das ist im Schiffbau relativ weit hinten).

Tagsüber aber war keine Party angesagt, sondern Krisenstimmung. In den für jedermann zugänglichen Diskussionspanels wurde das Clubsterben diskutiert und die Frage, wie die Schweizer Musikindustrie künftig noch Geld verdienen soll. «Everything is streaming but the money», hiess ein Panel, und weder dort noch an anderen Veranstaltungen konnte man viel mehr als fassungslos konstatieren, dass die Goldenen Jahre der Musikindustrie vorbei sind und wohl nicht so schnell wiederkehren. Denn wie man das Geld in Zeiten von Google, Youtube und Spotify wieder fliessen lassen will, weiss wohl weder in der Schweiz noch im Ausland irgendwer.

«Ich höre nichts neues!»

Auch nicht gerade von Aufbruchstimmung geprägt waren die Sessions der Demotape-Clinic, dem eigentlichen Kernstück der M4Music. Jeder Schweizer Musiker bzw. Band kann im Vorfeld des Festivals einen Song einschicken; dieses Jahr nahmen über 800 Künstler teil. Einer Vorjury selektiert darauf je zehn Nominierungen in den vier Kategorien Rock, Pop, Electronica und Urban. An den Sessions bewertet dann eine vierköpfige Jury diese zehn nominierten Songs sowie, falls die Zeit reicht, einige Wildcards. Die Bands kommen auf die Bühne, hören sich die Kritik an und können entgegnen oder Fragen stellen. Der Sieger jeder Kategorie bekommt 3000 Franken, der Gesamtsieger des «Demo of the Year» nochmals 5000 Franken.

Nur: Zumindest an den Session in Electronic und Rock schien die Jury vom Musikernachwuchs der Schweiz nicht gerade begeistert zu sein. Das händeringende Verdikt des Berner Elektromusikers und Labelinhabers Andreas Ryser nach der Hälfte der Electronic-Session: «Ich höre nichts neues, das geht mir schon den ganzen Abend so!» Tatsächlich waren innovative Sounds eher selten gesät. Das erste Stück klang nach klassischer Minimal-Mucke, wie sie in Zürcher Clubs läuft, das nächste nach Djungle-Reggeaton wie in den 90ern, und so weiter.

Zwar tönten die meisten Songs, auch dank der schnell wachsenden Technologie, nach einer professionellen Produktion. Aber kaum einer der Jungmusiker tat mehr als ein bereits bekanntes Genre stereotypisch nachzuahmen. «Wieso soll ich ein Stück von euch hören, wenn Justice genau denselben Stil machen, aber besser und bereits seit zehn Jahren? Sagt mir das!», sagte Jurymitglied Daniel Rosenthal, der in Genf als DJ und Kurator zweier Festivals für elektronische Musik arbeitet. Und als ein junger DJ aus Luzern seine an billige Clubs und Bling-Bling erinnernde Musik grossspurig als Dubstep verkaufte, platzte Rosenthal der Kragen: «Es nervt einfach, dass heutzutage jeder seinen Sound als Dubstep verkauft, obwohl das mit der ursprünglichen Musik einfach rein nichts zu tun hat!» Positiv fiel Shazam Bell aus Lausanne und CMW aus Bern mit ihrer Elektronika auf; letzterer macht unter dem Namen Blomstre auch grossartigen Pop.

Wie das Bild einer Band

Auch keine Erleuchtung in Sachen Innovation war die Demotape Clinic im Genre Rock. Mit Monoski gewann ein schon ergrauter Fribourger, der mit seiner Ehefrau gekonnt Stoner-Rock zelebriert. Alles authentisch und stylisch – nur nicht innovativ. Das waren aber die meisten jüngeren Bands auch nicht. «Ihr tönt nicht, als wärt ihr euch selbst, sondern als würdet ihr jemand sein wollen. Ihr tönt nicht wie eine Band, sondern wie das Bild einer Band», sagte Jurymitglied Chris Wicky von der Lausanner Indieband Favez zu einer Ostschweizer Band, die den Sound einer 80er-Hair-Metal-Band nachahmte. Positiv fielen in dieser Session die Luzerner Book on Shelves, deren Sound auf eine erfrischende Weise an Pink Floyd aus Marihuana erinnert.

Das Demo des Jahres in der Kategorie «Urban» wurde der Song des Genfer Rappers Eriah, dessen opulente Beats und Rapweise allerdings ganz schön an Stress erinnern.