Benjamin Jafari wartet seit viereinhalb Jahren auf seine Aufenthaltsbewilligung. Nadine Schmidt

«Mein Boot ist angekommen»

Benjamin Jafari lebt seit fast fünf Jahren in der Schweiz. Während er auf seine Aufenthaltsbewilligung wartet, gestaltet der iranische Flüchtling sein Leben in der Schweiz. Er kennt jede Menge Leute, spielt Theater, ist politisch aktiv und besucht Vorlesungen an der Uni.

26. März 2012

Es ist nicht einfach, mit dem vielbeschäftigten Benjamin Jafari einen Interviewtermin zu finden. «In zwei Stunden muss ich in der Theaterprobe sein», sagt der iranische Asylbewerber gleich zu Beginn des Gesprächs. Die ZS trifft ihn an der Sihl, gleich bei der Gessnerallee, wo seine Proben stattfinden. Der Himmel ist strahlend blau, Benjamin setzt seine Sonnenbrille auf. Seine braunen, müde glänzenden Augen verschwinden hinter der Sonnenbrille. Benjamin redet offen über die Dinge, die ihn bewegen. Er spricht gut Deutsch, jedoch mit starkem Akzent. Manchmal ist es schwierig, ihn zu verstehen. Oft sucht er nach Worten und gibt nicht auf, bis er einen passenden Ausdruck gefunden hat. Mal ist er ernst, mal lächelt er verschmitzt hinter den orange getönten Gläsern seiner Sonnenbrille hervor.

Du siehst müde aus, Benjamin.

Ich habe seit einer Woche kaum geschlafen.

Warum denn?

Ich hatte so viel zu tun. Wir stecken mitten in den Endproben der beiden Theaterprojekte, in denen ich mitwirke.

Dann wäre es doch umso wichtiger, in dieser Zeit zu genügend Schlaf zu kommen.

Komischerweise fühle ich mich gar nicht müde. Mein Körper ist total fit, nur mein Kopf ist schwer. Das geht aber wieder vorbei, sobald ich auf der Bühne stehe. Wenn ich Theater spiele, bin ich einfach nur glücklich.

Was fasziniert dich so am Theater?

Ich kann so mit Menschen in Kontakt treten und zu ihnen sprechen. Am liebsten mag ich politische Stücke. Für mich ist Theater das beste Ausdrucksmittel, um über Politik zu diskutieren.

Du setzt dich jedoch auch ausserhalb des Theaters mit Politik auseinander.

Ich bin oft an Aktionen und Demonstrationen beteiligt und kritisiere öffentlich die schweizerische Ausländerpolitik. Kürzlich war ich mit anderen Asylsuchenden in Bern. Dort haben wir Bundesrätin Sommaruga um die Aufnahme von 173 Sans-Papiers gebeten. Anschliessend haben wir das Generalsekretariat der SP besetzt, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen.

Beisst du mit solchen Aktionen nicht in die Hand, die dich füttert?

Wahrscheinlich schon, die Behörden kennen mich schon gut. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch ein Grund dafür ist, warum ich seit fast fünf Jahren auf meine Aufenthaltsbewilligung warte.

Fünf Jahre sind eine lange Zeit des Wartens.

Durch das Theater bin ich ständig in Bewegung und denke nicht so viel darüber nach. Jeder Mensch muss arbeiten oder eine Beschäftigung finden, sonst bekommt er früher oder später psychische Probleme. So geht es vielen Asylsuchenden, die den ganzen Tag lang nichts zu tun haben.

Was machst du, wenn du einmal nicht Theater spielst?

Ich besuche den Deutschunterricht in der Autonomen Schule Zürich oder gehe in die Bibliothek. Manchmal besuche ich auch Vorlesungen in Politikwissenschaften an der Uni.

Im Iran hast du selbst Politikwissenschaften studiert. Wie verfolgst du die Politik in deinem Heimatland?

Ich denke und hoffe, dass der Arabische Frühling auch auf den Iran übergreifen wird. Wenn Assad in Syrien gestürzt ist, kommt Ahmadinedschad an die Reihe. 80% der iranischen Bevölkerung ist gegen die Regierung. Jahrelang wurde sie manipuliert. Das Volk ist verarmt, in den Köpfen der Menschen wird es bald zu einem Umdenken kommen. Auch im Iran wird es früher oder später zu einer Revolution kommen.

Wirst du zurückkehren, wenn das Regime gestürzt werden sollte?

Ja sicher. Für was sollte ich dann noch bleiben? Wegen dem Geld? Ich bin wegen unseren Problemen geflohen, nicht um hier in Europa Geld zu verdienen.

Wie kamst du in die Schweiz?

Ich reiste vom Iran aus bis in die Türkei und setzte von da in einem Schlauchboot nach Europa über. Wir waren viele Flüchtlinge in insgesamt drei Schlauchbooten. Die anderen zwei Boote kamen nie in Europa an, sie kenterten auf dem Meer. Es war Nacht. Ich habe nichts gesehen, nur die flehenden Hilfeschreie der ertrinkenden Menschen gehört. Es war furchtbar. Ich hatte riesiges Glück, dass mein Boot angekommen ist. Wer es bis Europa schafft, hat jedoch erst die erste grosse Hürde der Flucht überwunden.

Wie meinst du das?

Erstmal hier angekommen warten Flüchtlinge wie ich jahrelang, jahrzehntelang auf eine Aufenthaltsbewilligung. Dabei verlieren die meisten jede Hoffnung. Hoffnung ist das letzte was wir noch verlieren können, alles andere haben wir bereits verloren. Wir werden hier behandelt wie Verbrecher. Flucht ist aber kein Verbrechen.

Wie hast du es geschafft, deine Hoffnung nicht zu verlieren?

Ich hatte viel Glück und bin dankbar für alles. Vieles habe ich der Autonomen Schule Zürich zu verdanken. Dort habe ich Deutsch gelernt und durch die Autonome Schule bin ich zum Theater gekommen. Durch das Theater habe ich Leute in der ganzen Schweiz kennen und lieben gelernt. Ein Schweizer Freund von mir sagte einmal: «Benjamin, du kennst mehr Leute in der Schweiz als ich, obwohl ich hier aufgewachsen bin.»

Fühlst du dich zu Hause in der Schweiz?

Ich lebe hier, nun schon seit viereinhalb Jahren. Die Schweiz ist meine zweite Heimat geworden. Trotz meiner schwierigen Situation bin ich hier freier als im Iran.

Zur Person

Benjamin Jafari kam vor viereinhalb Jahren als politischer Flüchtling in die Schweiz und wartet seither auf seine Aufenthaltsbewilligung. Im Theaterhaus Gessnerallee stand er mit «WG Babylon» auf der Bühne und in «Die Unsichtbaren» fungiert er als Berater. Beide Stücke sind Teil der Reihe «Verortung», die sich mit den Themen Flucht, Migration und Einwanderung beschäftigen. Mehr Infos zu den Produktionen auf www.gessnerallee.ch.