Geschlechtliche Attribute sind nicht in Stein gemeisselt. Theo Zierock

Das Geschlecht auf dem Seziertisch

Gender Studies befassen sich mit den Unterschieden zwischen Frauen und Männern. Manchen ist die Zürcher Version zu unpolitisch.

22. März 2012

Sarah Farag interessiert sich für die Herausbildung und Entwicklung von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen auf geschlechtlicher Ebene. In ihrem Dissertationsprojekt beschäftigt sie sich mit der Umsetzung von internationalen Frauenrechten in Ägypten. «Die Konstruktion von normativen Werten von Geschlecht, wie etwa Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte, in der ägyptischen Gesellschaft faszinieren mich», begründet Sarah die Wahl ihres Forschungsfeldes. Auch im Hinblick auf die jüngsten soziopolitischen Umbrüche im Nahen Osten würden geschlechterbezogene Fragen in jenen Ländern an Brisanz gewinnen.

Die junge Wissenschaftlerin ist Assistentin am 2009 eingerichteten Lehrstuhl für Gender Studies und Islamwissenschaft am Orientalischen Seminar der Uni Zürich, wo die «Bedeutung von Geschlecht auf sozialer, kultureller und subjektiver Ebene» untersucht wird, wie Bettina Dennerlein, Professorin für Gender Studies und Islamwissenschaft, zusammenfasst.

Breit gefächertes Studium

Die Geschlechterfrage stellt sich in allen Bereichen menschlichen Lebens. Das schlägt sich auch auf das Studium der Gender Studies in Zürich nieder. Es ist stark interdisziplinär organisiert, und «die Bedeutung der Untersuchung von Geschlecht ist nicht an Fachgrenzen gebunden», wie Dennerlein erläutert.

Die 140 Studentinnen und 20 Studenten können sich dieses Semester unter anderem mit rechtlichen Aspekten (Seminar «Genderfrage in juristischer Perspektive») auseinandersetzen oder sich «Gender und psychischen Störungen» widmen. Das Studium der Gender Studies in Zürich hat man sich demnach fächerübergreifend vorzustellen, wobei die unterschiedlichsten Fragen zum Thema Geschlecht untersucht werden. «Neben der geistes- und kulturwissenschaftlichen Breite ist die feste Verankerung der Biologie im Gender-Curriculum ein Merkmal der Zürcher Gender Studies», erklärt Dennerlein.

In der Lehre liegt das Hauptaugenmerk darin, wie sich Geschlechterrollen wann und weshalb verändert haben und worin die Unterschiede zwischen Frauen und Männern überhaupt liegen.

Geteilter Lehrstuhl

Dass in Zürich die Gender Studies keinen eigenen Lehrstuhl haben, sondern diesen mit der Islamwissenschaft teilen müssen, kann ein Student, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, nicht verstehen. Er findet das willkürlich. Auch dass das Studienfach hier nur als Masternebenfach zu buchen ist, missfällt ihm: «Das wird der von Semester zu Semester steigenden Anzahl Studierender nicht gerecht.»

Diesen Zusammenschluss begründet Dennerlein damit, dass die Einrichtung des Lehrstuhls mit seiner spezifischen Fächerkombination auch der Entwicklung eines Zürcher Profils im Bereich Gender Studies geschuldet sei. Dieses zeichne sich durch seine breite geistes- und kulturwissenschaftliche Abstützung aus. Hinzu komme ein Schwerpunkt für aussereuropäische Kulturen und Gesellschaften. Es gebe aber Überlegungen zur Einrichtung eines Hauptfachs.

Man wird zum Mann gemacht

Eine der zentralen Perspektiven, die sich aus der Geschlechterforschung ergeben, bringt Diana Baumgarten auf den Punkt: «Männer haben nicht einfach ein Geschlecht, sondern müssen zum Mann werden, wie Frauen zu einer Frau werden müssen.»

Baumgarten, die als Geschäftsführerin der Gleichstellungskommission der Uni Zürich tätig ist und sich in ihrer Dissertation mit der Beziehung zwischen Vätern und ihren jugendlichen Kindern beschäftigt hat, hat sich auf Männerforschung spezialisiert. Sie spricht von sozialen Normen, nach denen sich Männer (genauso wie Frauen) verhalten müssen. Wer sich ausserhalb davon bewegt, erklärt Baumgarten, werde mit Schwierigkeiten konfrontiert.

Zu einem grossen Teil, so die Erkenntnis, erlangen wir unsere geschlechtliche Identität also durch unsere gesellschaftliche und kulturelle Sozialisation. Wir werden zu dem gemacht, was wir sind.

Geschlechterforschung und Politik

In der breiten Interdisziplinarität, wie sie in Zürich betrieben wird, und der Aufteilung in viele Teilgebiete sieht Tove Soiland, Historikerin und Lehrbeauftragte an verschieden Universitäten in der Schweiz und in Deutschland, auch Probleme.

Die Gender Studies, deren Wurzeln in der 68er-Bewegung und feministischen Gruppierungen liegen, seien in den letzten Jahren stark entpolitisiert worden. «Den Anfang machten die Feminismusbewegung und das Selbstverständnis der Frauen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Heute spielt dieser Ansatz an den Hochschulen, vor allem im deutschsprachigen Raum, fast überhaupt keine Rolle mehr», so Soiland.

Sie kritisiert, dass die politisch-frauenrechtliche Sensibilisierung der Studierenden bei den Gender Studies verdrängt wurde von rein kultur- und sozialwissenschaftlichen Betrachtungen. Das Fach, so Soiland, wurde weichgespült.

«Es gibt zu Recht eine selbstkritische Diskussion über die Folgen der ‹Akademisierung› des Feminismus und der Gender Studies», konstatiert Dennerlein. Die Berücksichtigung feministischer Perspektiven im Unterrichten sei ihr persönlich wie systematisch aber ein Anliegen.

«Ich denke, dass Wissenschaft allgemein sich in gesellschaftliche Debatten einmischen kann und soll. Geschlechterforschung bildet hier keine Ausnahme», ist Dennerlein überzeugt.