Iqbal träumt von einem Studium in Deutschland. Corsin Zander

7000 Kilometer entfernt vom Traumstudium

Iqbal kann sich, wie viele Menschen in Indien, ein Studium nicht leisten. Warum er die Hoffnung nicht aufgibt und was wir daraus lernen können.

22. März 2012

Iqbal erzählt ungern, warum er nicht weiss, wie alt er ist oder wer seine Eltern sind. Viel lieber schwärmt er von seinen Träumen: «Das Grösste für mich wäre ein Informatik- oder Betriebswirtschafts-studium in Deutschland.» Noch ist es ein weiter Weg dahin. Zuerst müsse er sein Deutsch verbessern und natürlich ein Stipendium erhalten. «Wenn ich mich anstrenge, kann ich dieses Ziel auf jeden Fall erreichen», sagt Iqbal. Sein Wille ist ungebrochen – und dass er sich durchsetzen kann, hat er in seinem noch jungen Leben schon einige Male bewiesen.

Iqbal hat das gleiche Schicksal wie Millionen von Kindern in Delhi. Momentan leben rund 1.5 Millionen Kinder ohne ihre Eltern in den engen Gassen der Grossstadt. Und täglich kommen neue dazu. Wie damals Iqbal, als er in jungen Jahren auf Umwegen in den Häuserozean der indischen Hauptstadt fand. Er strich herum auf der Suche nach Geld. Verdingte sich in Gelegenheitjobs für Strassengangs und übernachtete in Bahnhöfen, wo er von Polizisten verprügelt wurde. In dieser Zeit träumte er davon, Bollywood-Schauspieler zu werden, weil diese es mit der Polizei aufnehmen können. Nun träumt er davon, zu studieren.

Uni Zürich strebt Kooperation an

Den Traum einer akademischen Karriere teilt er mit einem Grossteil der über einer Milliarde Inderinnen und Inder. «Studieren zu können und einen Abschluss zu erreichen, gilt als wahnsinnige Auszeichnung», erklärt Angelika Malinar, Professorin für Indologie an der Uni Zürich.

Davon konnte sie sich erst kürzlich wieder überzeugen, als sie zusammen mit einer Delegation der Universität Zürich verschiedene Hochschulen in Indien besuchte. Von dieser Begeisterung für die Bildung und deren Stellenwert in der Gesellschaft könne die Schweiz sehr viel lernen, meint Malinar. Überhaupt könne Zürich von einer Kooperation mit indischen Universitäten profitieren. In den letzten zwanzig Jahren habe Indien im Bildungssektor enorme Fortschritte gemacht. Gerade in den Natur- und Rechtswissenschaften und natürlich auch im Bereich der Informatik betreiben indische Unis Spitzenforschung.

Die Bildung wurde in den vergangenen Jahren staatlich stark gefördert. Sie ist längst nicht mehr nur den wohlsituierten Schichten vorbehalten. Es gibt Universitäten, die auf free education setzen, und ausserdem hat Indien ein ausgebautes Stipendienprogramm. «Dennoch ist ein Grossteil der indischen Bevölkerung von Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen», sagt Malinar.

«Verlorene Töchter und Söhne»

Seine Grundausbildung verdankt Iqbal der Nichtregierungsorganisation Salaam Baalak Trust (SBT). Sie kümmert sich in Delhi um Strassenkinder. In einem halben Dutzend Kinderheimen wohnen Hunderte von Kindern, die entführt wurden oder von zu Hause abgehauen sind, bis sie wieder mit ihren Familien vereint werden. Bis dahin erhalten die verlorenen Töchter und Söhne täglich mehrere Stunden Schulbildung. Finden sie nicht zurück zu ihren Familien, bleiben sie bei SBT und übernehmen da verschiedene Aufgaben. So führt Iqbal Touristen beim «City Walk» im Namen von SBT durch Delhi. Viele der jüngeren Kinder schauen zu ihm auf. Iqbal hingegen bewundert die Studierenden und andere Touristen, die am Volunteer Project (siehe Kasten) teilnehmen. Nicht zuletzt auch deswegen möchte Iqbal nach Europa. Da scheinen die Gegensätze kleiner und die Chancen umso grösser zu sein. Für Deutschland hat er sich entschieden, weil er einmal einen Vortrag über das Land halten musste.

Von Indien profitieren

Die Indologin Angelika Malinar hält es durchaus für möglich, dass auch sozial schlechter gestellte Studierende zu einem Austausch kommen können: «Deutschland ist uns in diesem Bereich einige Schritte voraus. Es fehlt in der Schweiz so etwas wie der Deutsche Akademische Austauschdienst, der mit Stipendien solche Träume erfüllt.»

Dabei wäre ein Austausch der Studierenden wichtig. Deshalb hat sich Malinar auch dafür eingesetzt, dass die Uni Zürich mit indischen Universitäten bessere Beziehungen pflegt. «In Indien funktioniert vieles nur über persönliche Beziehungen. Damit überwindet man die ausgeprägte Bürokratie bisweilen mit einer ungeahnten Leichtigkeit», so Malinar. Die Sozialkompetenz erachtet sie denn auch als eine der Fähigkeiten, die Schweizer Studierende von indischen Kommilitonen lernen können. Für Indologen bleibe ein Besuch in Indien ohnehin unabdingbar. Auch wenn sich die Uni Zürich bereits mit gewissen Hochschulen in Indien rege austausche, gebe es noch einiges zu tun, bis ein regelmässiger Austausch von Studierenden ohne Probleme möglich ist.

«In Deutschland ist alles gut»

Für Iqbal stehen die Chancen also wesentlich besser, dass er in Deutschland einen Studienplatz findet. Zumindest würde er sich das sehr wünschen: «In Deutschland ist alles gut. Da kannst du alles erreichen. Wenn ich es schaffe, kann ich dann auch anderen diese Möglichkeit bieten, diesen Traum, den ich habe, zu verwirklichen», sagt Iqbal mit glänzenden Augen.

Freiwilligenprojekte

Das Reiseunternehmen STA Travel hat es sich zum Ziel gemacht, Reisen nachhaltig zu gestalten. Zusammen mit der Nonprofit-Organisation Planeterra bietet STA Travel in zahlreichen Ländern die Möglichkeit, eine Reise mit Freiwilligenarbeit zu verbinden. Dieser Voluntourism macht es möglich, den Menschen, ihrer Umwelt und der Natur, die man bereist, etwas zurückzugeben und sie langfristig zu schützen und bewahren.

http://www.statravel.ch