Antonio Loprieno glaubt, dass seine Vision zu mehr Masterstudierenden führt. Patrice Siegrist

«Ich möchte, dass man sich bewirbt»

Antonio Loprieno, Präsident der Schweizerischen Rektorenkonferenz, ist auf einer Mission. Er will den Master vom Bachelor abkoppeln.

23. Februar 2012

In Basel laufen Studierende Sturm. Grund dafür ist Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel und Präsident der Schweizerischen Rektorenkonferenz. Seine Vision: den Master vom Bachelor abkoppeln und die Bologna-Reform zu Ende führen. In Basel wurde die Studienordnung bereits entsprechend angepasst (siehe Seite 24). Den Fakultäten steht es offen, die Bewerber sur dossier zu prüfen. Sie müssen nicht mehr zwingend einen konsekutiven, also automatisch an den Bachelor anschliessenden Master anbieten.

Mit dieser Änderung verstösst Loprieno gegen die geltenden Richtlinien der Schweizerischen Universitätskonferenz von 2003. Diese besagen, dass das Masterstudium in derselben Fachrichtung automatisch offen stehen sollte.

Loprieno nimmt das mit Humor: «Ich hoffe nur, dass ich dafür nicht ins Gefängnis komme.» Er provoziere manchmal bewusst, damit auch etwas ins Rollen komme. Er weiss, wie er andere für sich gewinnen kann. Er lacht viel, macht Eingeständnisse, kritisiert Bologna und macht als Basler den Zürchern Komplimente. Mit Provokation und Charme will er in der ganzen Schweiz Basler Zustände einführen. Das ist seine Mission.

Herr Loprieno, Sie wollen den Master vom Bachelor abkoppeln. Weshalb?

Derzeit gibt es in der akademischen Ausbildlung drei Stufen: Bachelor, Master und Doktorat. In Wirklichkeit sind es aber nur zwei. Master und Doktorat. Wir haben die Bologna-Reform nicht zu Ende geführt, sondern nur das Lizenziat in zwei Stufen unterteilt. Stellt man heute den Master dem Lizenziat gleich, kann man sich durchaus Fragen, wozu braucht es einen Bachelor?

Sie wollen also den Master als Regelabschluss abschaffen.

Ich bin dafür, dass in der Schweiz so viele Personen wie möglich den Master machen. Die Schweiz braucht das, um in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben. Was ich abschaffen möchte, ist ein Automatismus, der eigentlich gar nicht existiert.

Heute kann doch jeder nach dem Bachelor an der eigenen Uni in seinem Fach direkt weiter studieren.

Aber da sprechen Sie genau die Problematik an. Heute können Sie zwar in Ihrem Fach an der eigenen Uni weiter studieren. Sie können aber keinen Master in einer anderen Fachrichtung machen. Zudem ist es auch schwierig, innerhalb der Schweiz zwischen dem Bachelor und dem Master die Universität zu wechseln.

Die Richtlinien der Schweizerischen Universitätskoferenz von 2003 schreiben aber vor, dass das Masterstudium in seiner Fachrichtung, egal an welcher Uni, offen stehen sollte.

Das ist richtig. In den Richtlinien steht, dass ohne zusätzliche Anforderungen die Zulassung gegeben sei. Doch die Universitäten nutzen das Hintertürchen und stellen keine zusätzlichen Anforderungen, sondern Auflagen. Die de jure gegebene Mobilität existiert deshalb nicht.

Nur weil die Richtlinien nicht korrekt umgesetzt werden, braucht es doch keine Abkoppelung des Masters. Stattdessen sollte man auf die Durchsetzung der Richtlinien pochen.

Auf etwas pochen ist nicht der liberale Weg. Die Richtlinien sind von 2003. Fast zehn Jahre sind seither vergangen. Es braucht keine solchen Vorschriften. Die Praxis zeigt, dass die Durchlässigkeit umgangen wird, durch Auflagen oder durch die sogenannten spezialisierten Master.

Und Ihre Vision von einem abgekoppelten Master löst diese Problematik? Die «Sur-Dossier-Prüfung» soll zu mehr Mobilität und mehr Masterstudierenden führen?

Mit neuen Masterprogrammen, welche sur dossier behandelt würden, könnten sich alle für alles bewerben. Man entscheidet aufgrund von Fähigkeiten, Kompetenzen und Erwartungen, ob jemand für einen Master zugelassen wird. Es ist ein anderer Ansatz. Heute beurteilt man die Leute nach ihrem Rucksack, also dem Abschluss, den sie haben. Neu würde man nach vorne schauen. Das ist weniger festgefahren.

Machen Sie ein Beispiel.

Wenn heute ein Ägypter bei uns in Basel Ägyptologie im Master studieren möchte, so kann er das nur, wenn er auch ein zweites Fach wie Islamwissenschaft studiert. Das ist aus meiner Sicht Unsinn. Es wäre viel besser, wenn man den Antrag überprüft und von Fall zu Fall entscheidet.

Das kann bedeuten, dass Studierende mit einem Bachelor und einer durchschnittlichen Note an der eigenen Uni keinen Master machen können.

Das kann ich mir nicht vorstellen. Eine Uni hat doch überhaupt keinen Anreiz, dass sie ihre eigenen Studierenden nicht weiterhin bei sich haben möchte. Das würde ja zeigen, dass ihre Ausbildung schlecht ist. Zudem kann ich nur immer wieder betonen: Es gibt kaum Studienprogramme in der Schweiz, welche zu viele Masterstudierende haben. Wir haben eher zu wenige, und das müssen wir ändern. Solange die demographischen Gegebenheiten in der Schweiz so bleiben, wie sie heute sind, können wir uns eine solche Selektion nicht erlauben. Dafür sind wir schlicht und einfach zu klein.

Sie wollen aber auch ausländische Studierende in die Schweiz holen, welche diese Lücke stopfen.

Um das zu können, muss man attraktiv sein. Ein Zustrom ist kaum auszumachen. Die Polemik, welche rechte Parteien machen, stimmt einfach nicht. Der starke Franken und der teure Lebensstandard verhindern das.

Wollen Sie mit ihren neuen Masterprogrammen aus Basel eine Elite-Uni machen?

Nein. Das ist in der Schweiz gar nicht möglich. Auch die ETH ist keine Elite-Uni und wird nie eine sein, bei allem Respekt vor dem, was dort geleistet wird. Unsere Universitäten sind staatlich. Da kann nicht mit stiftungsfinanzierten Instituten wie Harvard konkurriert werden.

Vor zwei Jahren wurden Schweizer Unis besetzt. Die Aktivisten fürchteten unter anderem, dass der Bachelor zum Massen- und der Master zum Eliteabschluss werde. Diese Kritik wurde als hysterisch abgetan. Heute wird der automatische Zugang zum Master schleichend abgeschafft. Hatten die Kritiker recht?

(lacht) Es war von Anfang an offensichtlich, dass eine Abstufung zwischen Bachelor und Master früher oder später geschieht. Dass diese Aufteilung nicht von Anfang an gleich umgesetzt wurde, hatte den Grund, dass das ein zu radikaler System-Schock gewesen wäre, und wir hätten so eine stärkere Reaktion erlebt. Das war reine Taktik und nicht mal eine besonders gute.

Die Pläne zur Abkoppelung des Masters und die Zunahme der spezialisierten Master schüren die Angst bei Studierenden, dass sie bald keinen Masterplatz mehr finden. Auch der VSS äussert sich sehr kritisch dazu. Haben Sie Verständnis dafür?

Die Angst verstehe ich nur begrenzt. Bei allem Respekt gegenüber dem VSS, es ist eine gewerkschaftliche Angst, die mit der europäischen Tradition eines Anspruchs auf ein bestimmtes Studium zusammenhängt, mit der Vorstellung, dass man auch im Bereich des Studiums auf ein Recht pochen kann. Davon haben wir einen Anspruch auf den Master abgeleitet. Ich sehe das anders. Ich möchte, dass man sich bewirbt, und glaube, dass die Angst vor einem Ausschluss vom Master unberechtigt ist. Aus den bereits genannten Gründen. Zudem findet die Entwicklung ja bereits jetzt statt, auch noch mit den in den Richtlinien festgehaltenen Automatismen.

Mehr Mobilität, der Master bleibt weiterhin allen zugänglich, und man könne die Zahl der Masterabgänge steigern. Dieses Versprechen klingen ähnlich wie damals, als Bologna eingeführt wurde. Viele entpuppten sich als falsch.

Es braucht einen ‹leap of faith›, also Vertrauen in das System, dass eine in-stitutionelle Freiheit nicht im diskriminierenden Sinne missbraucht wird. Sie können Prognosen stellen und Szenarien ausmalen, wie Sie möchten. Wenn Sie mich fragen, ob die Chance besteht, dass irgendwann ein verrückt gewordener Rektor sagen wird: Es dürfen nur noch Blondinen mit blauen Augen zu einem bestimmten Master zugelassen werden, dann muss ich sagen: Ja, diese Chance besteht. Aber wie realistisch ist sie?

Realistischer ist, dass nur noch Bachelors mit Note 5 zum Master zugelassen werden.

(zögert lange) Realistischer. Aber ich will das noch sehen. Ich glaube nicht, dass das flächendeckend passiert. Heute stehen Beschränkungen zwar nirgends geschrieben, aber man macht Ihnen das Leben so kompliziert, dass Sie eine 6 in trickreiche Gestaltungsfähigkeiten brauchen.

Wenn der Master nach Ihrer Meinung neu gestaltet werden sollte, braucht es aber auch einen neuen Bachelor.

Sie haben Recht. Wenn man an einer Schraube im System dreht, verändert sich alles. Früher oder später müssen im Zuge der Flexibilisierung des System auch die Bachelor-Curricula allgemeiner werden.

Das heisst, angelsächsische Verhältnisse anzunehmen.

Ich befürchte, dass wir über die Dauer diese fachspezifische Ausdifferenzierung auf Bachelor-Ebene nicht halten können. Je monothematischer die Masterangebote sind, so allgemeiner müssten die Bachelors sein. Das ist die Ökonomie des Systems.

Zur Person

Antonio Loprieno wurde 1955 in Italien geboren. Er studierte Ägyptologie, Sprachwissenschaft und Semitistik an der Universität von Turin, wo er 1977 mit dem Doktorat abschloss. Von 1989 bis 2000 dozierte er an der University of California in Los Angeles. Er ist zurzeit Präsident der Schweizerischen Rektorenkonferenz (CRUS) und Rektor der Universität Basel.