Milow blättert zuerst einmal durch die ZS. Judith Scharfenberger

«Ich war nicht oft an der Uni»

Die ZS traf sich mit Jonathan Vandenbroeck, alias Milow, zu einem Gespräch über seine Studienzeit, Träume und das beste Weihnachtsgeschenk.

11. Dezember 2011

Die ZS soll Milow im Komplex treffen, wo er am Abend ein Konzert geben wird. Doch er lässt ein paar Minuten auf sich warten. „Er skypt noch mit seiner Schwester“, lässt uns jemand wissen. Als Milow dann kurz darauf auftaucht, begrüsst er alle freundlich und entschuldigt sich für die Verspätung. Der junge Belgier beantwortet die Fragen offen: Er lacht viel, von Starallüren keine Spur. Während er spricht, sinkt er immer weiter in den braunen Sessel hinein, bis er schliesslich mit den Füssen auf dem Tisch daliegt.

Jonathan Vandenbroek (blättert durch die ZS): Ich mag euer Layout! Darf ich sie mitnehmen, um ein bisschen an meinem Deutsch zu feilen?

ZS: Na klar, kein Problem.

Super! Na dann, leg los.

Jonathan, was fällt dir als erstes ein, wenn du an deine Studienzeit zurückdenkst?

Wenn ich an mein Studium denke, kommt es mir vor, als wäre es Ewigkeiten her! Dabei sind es nur fünf Jahre. Seitdem ist aber so viel in meinem Leben passiert. Ich habe damals Politikwissenschaften studiert – das ist ein sehr theoretischer Studiengang und so war ich nicht oft an der Uni. Ich hatte ein paar gute Freunde, die mich warnten, wenn etwas Wichtiges passierte und die mir ihre Notizen liehen. Zwei Mal im Jahr nahm ich dann meine Bücher zur Hand und lernte eine Weile. So klappte das ganz gut. Wenn ich an meine Studentenzeit zurückdenke, denke ich nur daran, wie ich die ganze Zeit Musik spielte. Ich schrieb viele Songs und spielte kleinere Konzerte. Ein paar Nächte in der Woche arbeitete ich in einer Bar. Aber ich dachte nur an die Musik; ich stand morgens mit Musik auf und ging abends wieder mit Musik schlafen. Also war es ganz nett, ab und zu einfach mal ein Buch zu lesen, das mich interessierte, so zur Abwechslung. Mein Studium erlaubte es mir auch, eine Struktur zu haben, um mich als Musiker weiter zu entwickeln. Ich war nur offiziell ein Student, aber eigentlich war ich Musiker. Ich verdiente einfach noch kein Geld und war weit davon entfernt, richtig gut zu sein. Fast hätte ich gar nicht zu Ende studiert, weil ich in dem Jahr, in dem ich hätte abschliessen sollen, mein erstes Album aufnahm. Ein Jahr später beschloss ich dann, einfach doch noch diese letzte Arbeit zu schreiben. Es ging um den Mittleren Osten, um Palästina und Israel.

Hast du eine lustige oder interessante Geschichte, die du von deinem Studium erzählen kannst?

Ich erinnere mich daran, dass ich Bruce Springsteen auf der ersten Seite meiner 120-Seitigen Abschlussarbeit zitierte. Es sollte eine Art Einführung sein:

“Yeah we bursted out of class,

we had to get away from those fools,

we learned more from a 3 minute record

than we ever learned in school.”

Ich habe das in die Einführung geschrieben, weil es die Uni beschrieb, wie ich sie erlebte: Ich lernte alles durch die Musik, die ich spielte, und fast nichts aus dem Unterricht. Dieses Zitat schrieb ich hauptsächlich für mich an den Anfang der Arbeit. Ich dachte mir, dass viele Professoren ja doch nicht die Arbeiten lesen würden. Aber als ich dann zur Besprechung kam, sagte einer der Professoren zu meiner grossen Überraschung: „Interessantes Zitat, das Sie da am Anfang Ihrer Arbeit haben!“ Erst bekam ich einen Schreck, aber sie fanden es lustig.

Warum hast du studiert, wenn du schon immer wusstest, dass du Musiker werden willst?

Ich verstehe deine Frage, aber weisst du, zur Zeit meines Studiums war ich der Einzige, der wusste, dass ich Musiker sein wollte. Das, was ich an Musik machte, war weit davon entfernt, gut genug zu sein, um davon leben zu können. Also brauchte ich Zeit. Ich glaube aber auch, dass es eine Zeit in deinem Leben gibt, während der du neugierig sein und jede Art von Information sammeln solltest. Später fängst du dann an, dein Leben zu leben und bist so damit beschäftigt, das zu tun, was du tust, dass du für diese Dinge keine Zeit mehr hast. Mit meinem Studium wollte ich mir Zeit nehmen, diese Dinge zu lernen. Ich habe auch studiert, damit ich sagen konnte „Ich bin ein Student“ und nicht „Ich bin ein Musiker“. Wenn man sagt, man sei ein Musiker, ist das nichts offizielles, denn davon kannst du nicht leben.

Was würdest du einem verzweifelten Politikstudenten sagen, der davon träumt, Musiker zu werden?

Viele Leute, die Bands haben, sind Studenten oder im Gymnasium. Wenn sie dann abschliessen, ist die Musik ganz plötzlich nicht mehr so wichtig. Es ist eine Sache, zu sagen, du willst ein professioneller Musiker werden, wenn du ein Student bist. Eine ganz Andere ist es aber, dazu auch noch nach dem Studium zu stehen. Man fängt einen Job an und damit wird es schwierig. Die meisten erkennen, dass sie gar nicht unbedingt Musik machen wollen. Musik wird zu etwas, das man am Wochenende macht, zu einem Hobby. Mein Rat wäre: Es macht nichts, wenn du Musik nur zum Spass machen willst, aber wenn du wirklich Musiker werden willst, dann mach nichts anderes. Arbeite in Bars, um dir deine Musik zu finanzieren, glaube an deinen Traum. Man sollte wissen, dass es schwer ist, von der Musik zu leben und dass es bis dahin ein langer Weg ist.

Du redest immer davon, dass man seinen Träumen treu bleiben soll; auch in deinen Songs ist das oft ein Thema.

Ich habe viele Freunde, die immer wieder ihre Jobs wechseln und immer noch nicht wissen, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Sie tun einfach nicht das, was sie vor zehn Jahren dachten, das sie tun würden. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass man ab und zu inne hältst und sich fragt: Wovon habe ich vor zehn Jahren geträumt? Einfach als eine Kontrolle, ob man immer noch seinen Träumen folgt. Ich hasse es, wenn Leute sagen: „Träume? Die habe ich schon vor langer Zeit aufgegeben.“ Es ist immer zu früh, das zu sagen, egal, wo man steht. Es ist immer zu früh, verbittert zu sein. Nein, bleib dran, folge deinem Traum! Nur wenn sich eine Türe schliesst, kann sich eine Neue öffnen.

Du sagst von dir selbst, du wärst ein „Geschichtenerzähler.“ Was ist die Botschaft in deinen Liedern?

Geschichten zu erzählen hat eine lange Tradition in der Art von Musik, die ich mache. Ich glaube, dass ich mehr mit meinen Songtexten bewegen kann, als mit der Musik, die ich spiele. Ich will Leute bewegen, ich will, dass sie einen meiner Songs hören und sagen: „Hey, ich weiss genau, wovon der da redet!“ Ich will, dass man sich in meinen Songs wieder erkennen kann. Ich glaube, Leute wie ich – Musiker – sollten über die Dinge nachdenken, für die normale Leute sich keine Zeit nehmen können. Ich versuche, über Themen zu schreiben, die mich interessieren. Bevor ich aber einen Song veröffentliche, frage ich mich, was er für die Menschen da draussen bedeuten könnte.

In deinem Lied “Never gonna stop” singst du von Zürich: “How even Zurich feels outgrown.” Was ist Zürich für dich, ausser einer kleinen Stadt in einem kleinen Land?

Es ist lustig, dass du das fragst, denn ich habe das ganze Album „North and South“ auf Tour geschrieben. Ich wollte nicht darüber schreiben, wie es ist, auf Tour zu sein sondern einfach über meine regulären Themen. Nur bei dem Lied „Never gonna stop“ habe ich eine Ausnahme gemacht. Ich war in diesem Jahr immer unterwegs, immer an Flughäfen und Bahnhöfen. Zürich ist eine Stadt, in der ich viel Zeit verbracht habe und die Schweiz war eines der ersten Länder, in denen meine Musik richtig gut ankam. Ich habe viele tolle Erinnerungen an Zürich, zum Beispiel an mein erstes Konzert hier, in der Hafenkneipe. Ich mag Zürich. Es hört sich vielleicht wie ein Klischee an, aber Zürich ist, neben Berlin, eine zweite Heimatstadt für mich geworden. Ich kenne so viele Leute hier und wir sind ja auch oft da.

Noch eine letzte Frage, weil jetzt bald Weihnachten ist: Was ich das beste Weihnachtsgeschenk, das du jemals bekommen hast?

Du meinst, in meinem ganzen Leben? Oh je, da muss ich nachdenken. Ich glaube das war vor zehn oder zwölf Jahren, ein Aufzeichnungsgerät für meine Musik, das mir meine Eltern geschenkt haben. Klar, heutzutage ist das überholt, man hat Laptops und Iphones, aber damals war das für mich das Grösste. Ich rannte sofort zu meinen Freunden und zeigte es ihnen und wir probierten es aus. Wir waren überglücklich.

Jonathan, danke für das Interview!

Gern geschehen, es hat Spass gemacht!

Name: Jonathan Vandenbroeck

Alter: 30 Jahre

Uni: Katholieke Universiteit Leuven, 2001 – 2006

Studium: Politikwissenschaften