Leben im Dazwischen

Jeweils pünktlich zur Weihnachtszeit haben in den letzten beiden Jahren zwei ausländerfeindliche Initiativen der SVP für Schlagzeilen gesorgt. Dass man sich vor Immigranten nicht fürchten muss und dass es noch andere Aspekte in der Debatte rund um Integration gibt, zeigte sich am Mittwochabend in der Lebewohlfabrik.

10. Dezember 2011

‚Adventsausländer’ ist die 5.Veranstaltung in der Reihe des Ethnologischen Cafés in diesem Jahr. Die Wände des gemütlichen Raumes in der Lebewohlfabrik im Zürcher Seefeld sind voller Bilder und die kleine Bühne wartet auf den ersten Redner, die erste Geschichte. Während sich nach und nach kleine Gruppen an den runden, von Kerzen beleuchteten Tischen einfinden, macht sich Shpresa Jashari bereit. Die junge Frau ist die Organisatorin dieses Abends, sie ist es, welche am Vorabend des ersten Dezembers die Idee zu den ‚Adventsausländern’ hatte und schliesslich auch die meisten Geschichten verfasst hat.

. Ihre Familie kommt ursprünglich aus Mazedonien, eine Tatsache, welche man Shpresas Deutsch niemals anmerken würde, die aber in ihren Geschichten spürbar wird. Sie studierte Germanistik und Völkerrecht an der Uni Zürich, momentan doktoriert sie in Bremen. Das Projekt der Adventsausländer sei als Reaktion auf die ausländerfeindlichen Initiativen entstanden, welche in den letzten beiden Jahren zur Weihnachtszeit in der Schweiz für Furore gesorgt haben, so Shpresa. Sie wolle eine Brücke schlagen zwischen Einwanderern und Schweizern, zwischen links und rechts und nicht zuletzt auch zwischen den verschiedenen Generationen der immigrierten Familien. Eine differenzierte Innenperspektive der oft verteufelten ‚Ausländer’ habe in der Schweiz in den letzten Jahren komplett gefehlt, und das rechte politische Lager habe es verstanden, von dieser Einseitigkeit Gebrauch zu machen. Mit ihren Geschichten - für jeden Tag des Advents entstand eine - wolle sie Menschliches, Ähnlichkeiten im Alltag der Kulturen aufzeigen. Dies brauche es, damit die Identifikation mit dem Fremden gelingen könne.

Leben auf den Autobahnen Europas

Damit beginnen die Lesungen. Es wird still im kleinen Raum, in dem sich alle zu kennen scheinen und wie alte Studienfreunde wirken. Shpresa beginnt ihre erste Geschichte unerwartet mit einem Lied, östliche Klänge hallen durch die Lebewohlfabrik, „o gurbet , guebeti i zi“. Anschliessend erklärt sie, es handle sich beim Wort „Gurbet“ um ein Synonym für Migration und Fremde, der „schwarze Gurbet“ sei eine melancholische, beinahe pathetische Hymne der türkischen und albanischen Kultur, welche in den 80er und 90er Jahren Kultstatus unter den nach Westen ziehenden Albanern hatte. Shpresas Geschichte heisst „Transit“, sie schildert die Erlebnisse der Gastarbeiter auf den Autobahnen Europas, die Reisen, den Weltenwechsel, welcher sich alljährlich in den Sommerferien wiederholt. Sie spricht von den „Ewig-Fremden“ welche „zuhause sind in der Bewegung“. Daheim ein bedeutender Europäer, zurück im „richtigen Europa“ ein Albaner. In einer berührenden literarischen Form wird das Gefühl des Andersseins vermittelt, man spürt, dass weder die alte noch die neue Heimat „wirklich sitzt“. Dass ein Leben nur im Dazwischen möglich ist.

Die zweite Geschichte ist von Samuel Flury aus Wien, einem Secondo-Schweizer in Österreich, wie er sich selber nennt. Die Geschichte berichtet aus der Perspektive eines einfachen, leicht fremdenfeindlichen Mannes, welcher sich soweit gut in seinem Leben eingerichtet hat und nun durch die Hochzeit seiner Mutter mit einem Afrikaner bedroht wird. Lebhaft schildert er das erstmalige Zusammentreffen mit der afrikanischen Grossfamilie, schimpft gegen das fremde Essen, die fremde Sprache, die fremde Kultur. Und bedient dabei des einen oder anderen Klischees: „Your mother is a very special woman“, sagt etwa der um 20 Jahre jüngere Verlobte der Mutter.

Es folgen vier weitere Geschichten, die von den unterschiedlichsten Facetten der Migration berichten. Da findet sich etwa die brave Schweizer Gemeinde, welche ihren im grossen Amerika verloren geglaubten Sohn nach vielen Jahren doch noch in ihrer Mitte beerdigen kann oder eine Mulitikult-Sendung des Schweizer Fernsehens, welche die Integration fördern will, während sich hinter der Kulisse italienische, türkische und polnische Grüppchen bilden.

Geschichten bräuchten ein vielseitigeres Publikum

In der anschliessenden Diskussion droht das Gespräch in die linke Hälfte des politischen Spektrums abzurutschen und verhindert damit den erhofften Dialog. Diejenigen, für die diese Geschichten wichtig wären, diejenigen, welche die Kritik betrifft – sie sind nicht hier. Anwesend sind nur die, welche die Innenansicht der Migration ohnehin schon kennen und sich bereits für eine grössere Akzeptanz anderer Kulturen einsetzen. Um etwas zu bewirken, müssten sich die Schreiber mit ihren Geschichten einem grösseren, vielseitigeren Publikum aussetzen, um auch Andersdenkende zu erreichen.

Shpresa beendet den Abend mit einer berührenden Anekdote: Als kleines fremdes Mädchen habe sie, eigentlich muslimisch erzogen, in der Schule zusammen mit den Schweizer Kindern Aufsätze über ein christliches Weihnachten ihrer Familie geschrieben, habe vom Christkind und dem Weihnachtsbaum, vom Liedersingen und vom Tanzen im Schnee berichtet. Um dazuzugehören.