Der Campus Irchel. sps.ch

Politisieren am Irchel

Der Campus Irchel gilt bei vielen Studierenden als unpolitisch. Servan Grüninger und Timothy Overtveld von der Interessengemeinschaft Irchel räumen mit diesem Vorurteil auf. Wer sind die neuen Studierendenvertreter?

3. Dezember 2011

Bei der Verkündung der diesjährigen Stura-Wahlergebnisse im Lichthof gab es eine Überraschung: Mit 16.5% liegt die Stimmbeteiligung beinahe doppelt so hoch wie im Vorjahr. Eine wesentliche Rolle dabei dürften die Wahlen an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät (MNF) gespielt haben, die mit über 3200 immatrikulierten Studierenden den drittgrössten Anteil an der Studierendenschaft der Uni Zürich stellt. In den vergangenen Jahren konnten die NaturwissenschafterInnen jeweils nicht an die Urne. Die Wahlen wurden still abgehalten, da sich zu wenige Kandidierende zur Verfügung gestellt hatten. Die Kandidierenden der Interessengemeinschaft Irchel haben dies nun verändert – und sie meinen, dass am Irchel sehr wohl ein Interesse für Politik vorhanden ist.

«Unipolitik nicht zu stark mit Allgemeinpolitik vermischen»

Von den 9 Kandidierenden der IG Irchel wurden 5 in den Rat gewählt. Vier an der MNF und eine Person an der philosophischen Fakultät (PHF). Zwei davon, Servan Grüninger und Timothy Overtveld, standen der ZS Rede und Antwort.

Obwohl die IG Irchel erst kurz vor den Wahlen entstanden ist, antworten die Vertreter selbstsicher und stets ohne zu zögern. Beide haben vor ihrem unipolitischen Engagement bereits Erfahrungen in anderen Institutionen sammeln können. Servan Grüninger ist seit seinem 16. Lebensjahr für die CVP aktiv, zuerst im Bünderland, jetzt in Schaffhausen. Der 20-jährige studiert Biologie, Neuroinformatik und Recht und will sich vor allem für eine bessere Koordination von Haupt- und Nebenfächern an der MNF einsetzen.

Für den Jungpolitiker sollte Unipolitik nicht zu stark mit Allgemeinpolitik vermischt werden. Er sieht seine Rolle als Vertreter der Studierenden am Irchel ohne übergeordnete politische Ideologie: «Für uns spielt es keine Rolle, wo unsere Mitglieder in einem links-rechts- oder konservativ-liberalen-Schema stehen.»

Timothy Overtveld pflichtet ihm bei: «Es geht darum, dass die Leute, die hier studieren, durch Leute vertreten werden, die denselben Studienbedingungen ausgesetzt sind und somit deren Bedürfnisse kennen.» Der Erdwissenschaftenstudent ist seit 2006 an der Uni Zürich immatrikuliert. Damals noch im Biologiestudium, ist er dem Vorstand des Fachvereins Biologie (Biuz) beigetreten, dem er, selbst nach seinem Studiengangwechsel, bis heute treu geblieben ist. Timothy stört sich hauptsächlich daran, dass einige DozentInnen die Dimension des Leistungsnachweises von 30 Kreditpunkten pro Semester nicht verstanden haben. Mit einer einfachen Rechnung erklärt er, was er meint: «Ein drei-Punkte Modul bedeutet pro Semester 90 Arbeitsstunden. Wenn die Prüfung in der letzten Vorlesungswoche stattfindet, dann sind das pro Woche etwa sieben Stunden Aufwand. Für die geforderten 30 Kredipunkte pro Semester ergäbe das dann eine 70 Stunden-Woche. Das ist nicht zumutbar. Die Dozenten sollten sich dem bewusst sein, sonst geht es letztendlich auf Kosten der Studierenden.»

Die beiden wollen sich aber nicht falsch verstanden wissen. Im Grunde sei an der MNF nicht viel auszusetzen. Die Studienkoordination arbeite hervorragend und stehe einem bei administrativen Hürden stets zur Seite.

Gründung in letzter Minute

Der amtierende Stura-Präsident Martin Roeck war im Vorfeld der Wahlen bei den Fachvereinen der MNF auf "Werbetour". Vor allem im Hinblick auf die Ausgestaltung des VSUZH war es ihm ein Anliegen, auch Vertreter der Naturwissenschaften mit im Boot zu haben. Daneben wurde unter den Studierenden per E-mail für mehr Kandidaturen geworben. In einer Last-Minute Aktion ist daraus dann schliesslich die IG Irchel entstanden, nachdem einige Kandidierende merkten, dass ihre Anliegen mit denen anderer Kandidierenden am Irchel weitgehend deckungsgleich sind. «Eigentlich wollten wir auch die Fachvereine Chemie und Geographie mit an Bord haben», sagt Servan, «aber als die sich entschieden haben, hatten wir unsere acht Kandidierenden bereits zusammen. Im Wahlkampf haben wir uns dann allerdings gegenseitig empfohlen.» Im nächsten Jahr wollen sie es ruhiger angehen. Es ist den Beiden ein Anliegen, in Zukunft Vertreter von noch mehr Studiengängen in den eigenen Reihen zu haben. Sie geben sich allerdings zufrieden mit dem bisher Erreichten. Immerhin vier verschiedene Studiengänge aus zwei Fakultäten sind unter den gewählten Mitgliedern der IG Irchel zu finden.

Grössere ideologische Unterschiede als bei anderen Fraktionen

Was bildungspolitische Themen wie etwa die Erhöhung der Studiengebühren oder die Umsetzung der Bologna-Reform angeht, stellt die IG Irchel eine Wundertüte dar. «Es gibt zwischen unseren Mitgliedern grössere ideologische Unterschiede als bei anderen Fraktionen». Zwar will man durchaus Stellung beziehen, ist sich aber bewusst, dass man bisher als Gruppe noch keine einheitliche Position hat und will den Fokus mehr auf den Uni-Alltag legen. «Das hat damit zu tun, dass bildungspolitische Themen wie Bologna an der MNF einfach weniger brisant sind» erklärt Servan. «Als vor zwei Jahren beispielsweise der Hörsaal im Zentrum durch die Gruppierung "unsereuni" besetzt wurde, war das hier kaum ein Thema.» «Die Veränderungen, die durch Bologna an der MNF stattgefunden haben, sind, im Vergleich zur PHF beispielsweise, minimal» pflichtet Timothy bei. Laut Servan haben die Mittagsgespräche am Irchel eine andere Dynamik als im Zentrum und liefen weniger hitzig ab. Das sage aber noch nichts über das politische Interesse der Studierenden aus.

Persönliche Überzeugungen spielen in der IG Irchel folglich höchstens eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist die Vertretung der Meinung «des allgemeinen Studenten». In bewährter naturwissenschaftlicher Praxis soll diese durch Stichproben in Erfahrung gebracht werden. Es soll nicht so herauskommen wie bei Stuttgart 21, wo man erst im Nachhinein erkannt hat, dass eine Mehrheit ja eigentlich überhaupt nicht dagegen war. Dass diese Trennung nicht einfach werden wird, sehen die Beiden ein und «wollen es einfach versuchen».

«Mir ist ein Siemens-Lehrstuhl lieber als keine Forschungsgelder»

Auf ihre persönlichen Meinungen angesprochen, zeigt sich, dass Bildungspolitik für die Beiden durchaus kein Fremdwort ist. Eine Studiengebührenerhöhung etwa kommt auf keinen Fall in Frage. Und auch bei der Umsetzung der Bologna-Reform sehen sie Schwierigkeiten, die endlich behoben werden sollten. «Ein Bachelor soll international überall ähnlich arbeitsintensiv sein. Wenn Bologna schon europaweit sein soll, dann soll das auch überall angeglichen werden» findet Timothy. Und Servan fügt an, dass es auch ein Problem sei, dass an gewissen Fakultäten die Prüfungen ins Semester hinein verschoben würden und dadurch kaum mehr Zeit für richtiges Lernen bleibe.

Mit Drittmitteln in der Forschung können sich Beide abfinden, wenn auch unter gewissen Bedingungen. «Mir ist ein Siemens-Lehrstuhl mit den entsprechenden Kontrollorganen lieber als gar keine Forschungsgelder, gerade jetzt, wo der Bund und die Kantone bei der Bildung sparen wollen» meint Servan dazu.

Vorfreude auf den VSUZH

Am VSUZH melden die beiden grosses Interesse an und deuten gleich auf ein strukturelles Problem hin. Der kürzlich gefasste Beschluss über das künftige Wahlverfahren ist ihnen ein Dorn im Auge. «Die Aufhebung der Wahlen auf Fakultätsebene birgt gewisse Gefahren für Minoritäten. Kleine Listen werden so fast keine Chance mehr haben.» Tatsächlich werden die Wahlen in Zukunft aller Voraussicht nach gesamtuniversitär stattfinden, wobei jeder Fakultät mindestens drei Sitze garantiert werden. «Wenn wir nun in einer Statutenänderung dieses Verfahren wieder ändern wollen, brauchen wir eine 2/3-Mehrheit, was fast unmöglich zu erreichen ist.»

Für die beiden zukünftigen Studierendenräte liegt die Lösung auch hier im Pragmatismus: «Da wir in der Gruppe nicht ideologisch agieren wollen, sind bei uns alle willkommen. Wenn es keine riesigen Differenzen gibt, dann besonders auch jene, die es im künftigen Wahlverfahren schwierig haben werden.»