Die Lerntherapeutin Claudia Zimmermann empfiehlt Meditation statt Ritalin. Benjamin Häni

«Studieren ist ein 100-Prozent-Job»

Bald ist Prüfungszeit und der Angstschweiss tropft. Lerntherapeutin Claudia Zimmermann erklärt, was Studierende jetzt beachten sollten.

23. November 2011

Claudia Zimmermann, die Prüfungen stehen vor der Tür, die Semester-End-Parties auch. Was halten Sie von Ritalin?

Klar, es ist effektiv und man ist konzentrierter, wacher. Solche Mittel beeinträchtigen allerdings die Kreativität.Es gibt aber noch ein weiteres Problem. Je mehr Leute zu Ritalin greifen, desto höher werden die Anforderungen an den Prüfungen. Das treibt wiederum mehr Leute zu Doping. Da frage ich euch Studis: Wollt ihr eine solche Dopinggesellschaft, oder wehrt ihr euch dagegen? Der gedopte Student als Einzelkämpfer… das ist ein einsamer Weg.

Was ist die Alternative?

Besser wäre der Austausch in Lerngruppen. Die erforderliche Konzentration kann man auch durch Meditation, Yoga oder Ähnliches erreichen. Es dauert einfach ein wenig länger.

Dann wenigstens Koffein als Muntermacher?

Kaffee mit Mass geht in Ordnung.

Gibt es den Killer-Lerntipp?

Äus­serst wichtig ist das Selbstmanagement. Wer direkt vom Gymnasium an die Uni kommt, ist oft erstaunt, wie wenig die Vorlesungen zeitlich ausmachen. Der Effort ist vor allem im Selbststudium zu leisten.

Genau das fällt vielen schwer.

Hier hilft es, das Studium wie einen Job zu betrachten. Wer eine 100-prozent-Anstellung im Büro hat, kann nicht nach Lust und Laune arbeiten gehen. Deshalb: Studieren ist ein Job – von den Steuerzahlern und der Familie bezahlt – ich arbeite, wenn ich lerne.

Oft hapert es aber mit dem Selbstmanagement. Am Schluss pauken Studierende wie besessen. Wie soll das Selbstmanagement in Angriff genommen werden?

Möglichst früh im Semester bereits einen Wochenplan erstellen, in den man die Lern-, aber auch die Erholungszeiten einträgt. Versuchen, schon zu Beginn eines Moduls eine grobe Strukturierung des Stoffs vorzunehmen, die man dann immer weiter verfeinert.

Haben Sie hierzu Beispiele?

Studierende müssen ihr Fach genau erforschen – rausfinden, wie der Dozent tickt, welche Fragen ihm wichtig sind. Die Bücher genau lesen, Inhaltsverzeichnis und Vorwort geben oft viel her für eine eigene Strukturierung des Stoffs. Das Wichtigste ist aber, dass man selbst mit dem Stoff arbeitet, ihn in andere Formen zwängt, Kommilitonen erklärt. Was ich erklären kann, habe ich verstanden.

Was für andere Formen?

Wenn ich viele Wörter lernen muss, dann hilft es, diese in Gruppen einzuteilen – «Möbel», «Tiere», in der Art. Wenn ich das Wissen dann abrufen muss, ist es leichter, sich an die eigene Einteilung zu erinnern, dann fallen mir die Wörter ganz von selbst wieder ein.

Das kann man so verallgemeinern?

Die Art der Strukturierung ist bei jedem anders – manche mögen Mind-Maps, andere Stichwortsammlungen. Farben helfen vielen.

Eine verbreitete Art unter Studierenden ist das Bulimie-Lernen. Das widerspricht all Ihren Empfehlungen?

Klar, was ich empfehle, sind Idealzustände. Bulimie-Lernen macht vielleicht Sinn, wenn das betreffende Modul in sich geschlossen ist und man dem Stoff nicht mehr begegnen wird.

Sonst raten Sie davon ab?

Handelt es sich um ein Modul, an das im weiteren Studium viel angeknüpft wird, ist diese Art des Lernens sinnlos, da man das meiste schnell vergisst und im Endeffekt das Doppelte lernen muss. Es ist wie beim Essen: Drei bis fünf kleine Portionen pro Tag sind besser als alles auf einmal und dann erbrechen.

Haben Sie einen Tipp für die Frischlinge an der Uni?

Am Anfang des Studiums ist die emotionale und soziale Komponente sehr wichtig. Man sollte sich wohl fühlen, wissen, wo man welche Informationen beziehen kann. Also Mitstudierende kennenlernen, Gruppen bilden und sich austauschen, Kaffee trinken, gemeinsam Sport treiben, Veranstaltungen besuchen und lernen. Das ist wichtiger als so schnell wie möglich viele Kreditpunkte zu sammeln. Neurobiologen bestätigen: Fühlt man sich emotional wohl, geht der Stoff schneller ins Gedächtnis und bleibt besser haften.

Emotionen spielen also eine wichtige Rolle?

Ja. Zudem sollte der Studierende sich selbst nicht fertigmachen – das Gehirn übernimmt gern das Selbstbild, und das spielt für die Motivation eine grosse Rolle. Sich sagen, «Ich schaffe das!», nützt schon viel. Neben der Strukturierung des Stoffs ist auch eine Reduzierung sinnvoll.

Das heisst bewusst weniger Stoff lernen?

Wer weniger lernt, das dafür vertieft, hat mehr davon, als wenn er alles wissen will, aber nur an der Oberfläche kratzt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ordnung. Es heisst oft, Genies beherrschen das Chaos. Es gibt aber nur wenige Genies. Das Gedächtnis liebt Ordnung. Nur wenn man kreativ sein muss, kann ein wenig Chaos ganz inspirierend wirken.

Es gibt Studiengänge, da hat man sechs Prüfungen in einer Woche, zwei davon an einem Tag. Wie kann ich dem begegnen?

Wenn man während dem Semester seriös war, sollte das kein allzu grosses Problem darstellen. Zwei Tage davor nichts Neues mehr lernen! Kurze Pausen einlegen, um sich vom Stoff zu verabschieden.

Die Prüfungszeit ist vergleichbar mit dem Schlussspurt beim Rennen. Auch Schauspieler brauchen diesen Strom, diesen Adrenalinstoss, wenn sie auf die Bühne gehen, um die bestmöglichen Leistungen abzurufen. Zur Person:

Claudia Zimmermann, 54-jährig, arbeitete ursprünglich als Primarlehrerin. Nach einer familienbedingten Berufspause packte sie die Lust an eine Weiterbildung. Seit drei Jahren arbeitet sie als Lerntherapeutin in der Lernpraxis im Zürcher Seefeld.