Innerhalb von drei Tagen änderte sich am Romanischen Seminar die Studienordnung gleich zwei Mal. Castegna Duran

Das Liz in den Bachelor gepackt

Studierende am Romanischen Seminar sind empört. Sie fühlen sich als «Versuchskaninchen» bei der Umsetzung der Bologna-Reform missbraucht.

19. Oktober 2011

Die Frustration unter Studierenden am Romanischen Seminar ist gross. Fünf Jahre nach der Einführung von Bologna bringt die Reform immer noch Probleme mit sich. Die Leidtragenden sind die Studierenden.

Sandra* begann 2006 mit dem Bachelor am Romanischen Seminar und ging das Studium voller Elan an. Heute sei die Motivation, weiter zu studieren, an einem Tiefpunkt. «Ich will jetzt einfach den Bachelor noch abschliessen und dann schau ich weiter.»

Für den Bachelor braucht Sandra voraussichtlich noch ein weiteres Semester. Die letzten Punkte im Nebenfach Italienisch müssen her. Im Hauptfach Französisch braucht sie noch ein Modul. Doch dass sie dieses überhaupt in diesem Semester besucht, sei ein reiner Glücksfall. Denn eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen.

«Ich habe mich total gefreut»

Während den letzten Semesterferien erfuhr Sandra per Zufall, dass die Studienordnung angepasst wurde. «Sie war versteckt auf der Seminar-Website zu finden», sagt Sandra. In dieser neuen Studienordnung heisst es, dass gewisse Module neu mehr Punkte geben und die Änderungen auch rückwirkend gelten. Zudem würden den Studierenden individuelle Gespräche angeboten, um auf ihre konkreten Fälle einzugehen.

«Ich habe mich total gefreut, denn somit hätte ich mein Hauptfach abgeschlossen gehabt», sagt Sandra. Die Gespräche im September waren ihr aber zu spät. Sie wandte sich sofort an den Studienberater, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich alles richtig verstanden hatte. Der Studienberater gab grünes Licht: «Danach sieht es so aus, dass Sie tatsächlich alle nach neuer Regelung nötigen Leistungen erbracht haben und mit dem Französischen jetzt schon ‹fertig› sind – Bravo!» Dieses Mail erhielt Sandra Ende Juni.

Es gibt doch nicht mehr Punkte

So weit, so gut. Was dann folgte, ist gemäss Sandra typisch für die Art und Weise, wie das Romanische Seminar mit der Bologna-Reform umgegangen ist. Ende August erhält sie in einem anderen Zusammenhang ein Mail von der Geschäftsführerin des Studiendekanats der Philosophischen Fakultät. Beiläufig angefügt teilt sie ihr Folgendes mit: «Die Mitteilung des Romanischen Seminars bezüglich Punkteaufwertung muss leider korrigiert werden, da wir festgestellt haben, dass diese Korrektur erst mit der neuen Rahmenverordnung (also frühestens ab FS13) gültig sein kann.» Zwei Monate nachdem sich Sandra beim Studienberater abgesichert hatte, hat sich für sie alles wieder geändert.

Der bürokratische Aufwand ist schuld

Gemäss Seminarvorsteher Martin-Dietrich Glessgen ist die rückwirkende Aufwertung bereits drei Tage nach der Publikation der neuen Studienordnung rückgängig gemacht worden. Erfreut darüber war auch Glessgen nicht. «Es war wie ein Schlag unter die Gürtellinie», sagt er. Man habe versucht, alle Studierenden von den Änderungen profitieren zu lassen, also auch jene wie Sandra. «Wir strebten das Optimum an, doch das war einfach nicht implentierbar zu diesem Zeitpunkt.» Es wäre ein zu grosser bürokratischer Aufwand gewesen.

Seminarvorsteher Glessgen bedauert, dass die Studierenden nicht rückwirkend von der Punkteaufwertung profitieren können, doch immerhin komme sie.

Die geplagte Studentin Sandra kann sich nicht wirklich darüber freuen. Denn sie kommt nicht mehr in den Genuss dieser Änderung. «Fünf Jahre nach der Einführung wurde das endlich angepasst», sagt sie. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegenüber dem Seminar.

«Man hat den ganzen Liz-Studiengang in den Bachelor gepackt», sagt sie empört. «Das ist doch inakzeptabel!» Es sei unmöglich, den Bachelor in drei Jahren abzuschliessen. Das bestätigen auch andere Studierende des Seminars. Wie Masterstudentin Daniela*: «Ich kenne niemanden, der mit mir zu studieren begonnen hat und einen Abschluss in drei Jahren machte.» Sie selber brauchte vier. Das Problem seien nicht die inhaltlichen Ansprüche gewesen. Vielmehr die Anforderungen. Es gab willkürliche Leistungsnachweise und «Beschäftigungstherapien». «Hauptsache, kein Punkt war geschenkt», sagt sie.

Dass das Liz in den Bachelor gepackt wurde, bestreitet Seminarvorsteher Glessgen nicht.: «Wir haben den Studierenden am Anfang zu viel zugemutet, doch das ändert sich ja nun.» Deshalb war die Punkteaufwertung notwendig. Heute sei ein Bachelor in drei Jahren möglich.

Studierende wie Daniela und Sandra haben das heute Gefühl, dass sie als «Versuchskaninchen» dienten. Das Seminar sei auf die Bologna-Reform nicht vorbereitet gewesen und die Entscheidungsträger hätten immer wieder leere Versprechungen gemacht.

Die Frustration bleibt

Glessgen bedauert, dass der Eindruck entstanden sein könnte, das Seminar habe sich nicht auf die Reform vorbereitet. «Eine solche Reform ist sehr komplex und ist nicht allein Sache des Romanischen Seminars», sagt er. Bologna sei ein europaweiter Reformprozess. Da flössen auch bildungspolitische Dimensionen ein und das Romanische Seminar stehe am Schluss einer langen Entscheidungskette. Dass dabei Anfangsschwierigkeiten auftreten, liege in der Natur der Sache. Glessgen möchte drei Punkte klar stellen. Erstens sei die Situation am Romanischen Seminar heute besser als noch 2002, als er dazu stiess.

Zweitens habe sich die Kommunikation zwischen Studierenden, Dozierenden und Beratungsstellen massiv verbessert. Härtefälle und Ausnahmen würden vorkommen, doch man sei Seminar stark bemüht, dies zu vermeiden.

Drittens habe er «beim besten Willen» nicht das Gefühl, dass alle Studierenden unzufrieden seien. Bei den Evaluationen zeige sich ein vielseitiges Bild: «Es gibt viele Studierende die zufrieden sind, einige, die indifferent, und halt jene, die unzufrieden sind.»

Sandra und Daniela gehören zu den Unzufriedenen. Sandra weiss noch nicht, ob sie weiterstudieren will oder ob sie nach Bern geht, damit sie im Master nicht wieder das «Versuchskaninchen» spielen müsse. Letzteres wäre gemäss Glessgen nicht der Fall, denn der Master profitiere von den Lehren und Erfahrungen aus dem Bachelor. Doch für Sandra sind die Worte des Seminarvorstehers zwar nett gemeint, aber nach ihrer Odysee am Romanischen Seminar kann sie solche Worte nur noch mit grosser Vorsicht geniessen.

Daniela pflichtet dem bei: «Die Entscheidungsträger sagen heute dies und morgen das.» Sie möchte weiterhin doktorieren, doch kaum hier in Zürich. Zu viel habe sie am Romanischen Seminar miterlebt. Weder Daniela noch Sandra würden das Studium jemandem weiterempfehlen.

*Namen der Redaktion bekannt.