Geschäftsführer Ueli Müller mag es aufgeräumt. Patrice Siegrist

«Der Wandel passierte aus Leidenschaft»

Seit Ueli Müller Geschäftsleiter des Zürcher Brockenhauses geworden ist, hat sich vieles verändert. Dafür erntete er harsche Kritik.

22. September 2011

Ueli Müller, Geschäftsführer des Zürcher Brockenhauses, kramt eine undefinierbare Aluminiumzange aus seiner Tasche. Soeben hat er diese in seinem Brockenhaus gekauft. Wozu sie dient, weiss Müller nicht so recht. «Wahrscheinlich kann man damit Radieschen vierteln. Toll, nicht?»

Müllers Büro ist wie das Brockenhaus auffallend aufgeräumt. Nur wenn er muss, sitzt er hier. Lieber verbringt er Zeit im Laden oder in der Schreinerei. Dort schraubt er hie und da einer Schublade rum oder flickt einen Stuhl. «Nur unter der Aufsicht des Schreiners natürlich.» Zehn Stunden pro Tag und sechs Tage die Woche verbringt er zwischen antiken Tischen und alter Unterwäsche.

Tagtäglich sieht Müller ein Möbel, das er gerne hätte. Manchmal schiebt er etwas zurück ins Lager – damit er es noch ein bisschen anschauen kann. «Irgendwann verkaufe ich es dann doch», sagt er und lacht. Vor drei Jahren übernahm der Betriebsökonom die Geschäftsführung und brachte frischen Wind ins Zürcher Brockenhaus.

Ueli Müller, wie nehmen Sie den aufgekommenen Trend nach alten Möbeln wahr?

Massiv. Ich nehme den Trend immer dann wahr, wenn Dekorateure aus Warenhäusern zu uns kommen. Die kaufen 50er-Jahre-Schränke, um ihre nächste Kollektion zu präsentieren.

Ihre Kundschaft hat sich in letzter Zeit also verändert.

Ja. Es kommen neu auch Leute zu uns, die finanziell gesehen durchaus an einem anderen Ort einkaufen könnten. Sie schätzen die Einzigartigkeit des Angebots und haben den Anspruch auf saubere Ware.

Wie hat sich die Bedeutung des Brockenhauses gewandelt?

Das städtische Brockenhaus war das erste in der Schweiz, daher einzigartig. Bis heute ist es tausendmal kopiert worden. In den Anfängen war es seine Aufgabe, Brocken an die Armen zu verteilen. Brocken – das ist irgendwie ein komisches Wort – soll aus der Bibel kommen und bezeichnet alle Gegenstände ausser Lebensmitteln. Früher wurden Möbel ausschliesslich in der Schweiz und sehr aufwändig produziert, kosteten daher verhältnismäs­sig mehr als heute. Das hat sich seither stark verschoben. Rein wirtschaftlich gesehen müsste ein Stuhl im Brockenhaus teurer sein als ein Massenprodukt der IKEA.

Ist er doch auch.

Nein, das stimmt nicht. Wir haben das Brockenhaus in verschiedene Etagen aufgeteilt. Im ersten Stock steht alles, was wir gratis bekommen haben, und dementsprechend sind da die Preise auch sehr tief. Im zweiten Stock verkaufen wir Möbel, welche wir selbst eingekauft haben. Das hat viele verwirrt. Gerade weil hier Gegenstände sind, welche Begehrlichkeiten wecken.

Mit dieser Veränderung ernteten Sie harsche Kritik.

Im Internet erschienen wütende und enttäuschte Kommentare, welche aus einer Laune heraus geschrieben wurden. Das sind Kritiken, die ich nicht ernst nehmen kann.

Brockenhäuser seien bei der Auswahl der Möbel sehr heikel, behaupten Kunden in Internetkommentaren.

Es muss eine gewisse Qualität haben, dann nehmen wir es auf jeden Fall. Viele haben das Gefühl, wir seien dazu da, den ‹Güsel› abzuholen. Immer wieder stehen Möbel draussen vor der Tür, die wir dann entsorgen müssen. So wird heute leider mit der Ware umgegangen.

Vor allem jungen Leute beklagen, dass sie das ‹neue› Brockenhaus nicht mehr anspricht.

Das finde ich schade. Ich kann aber nachvollziehen, worin die Enttäuschung liegt. Man hat unter einem Brockenhaus einen klaren Begriff im Kopf, und ich verändere den. Ich habe oft gehört, wir seien zu aufgeräumt. Ich mag es eben so. Wir putzen und pflegen unsere Sachen und flicken viel in unserer Schreinerei. Ich finde, das hat etwas mit Respekt gegenüber den Kunden, der Ware und den Mitarbeitenden zu tun.

Seien wir ehrlich, ihr Studenten habt keine Hemmungen, 100 Stutz in einem Club auszugeben. Es stinkt euch aber, für einen Stuhl 40 Franken auszugeben. Ist es nicht sinnvoller, an einem ehrlichen Ort 40 Franken zu bezahlen? Warum darf ein qualitativ hochwertigers Möbel, das zwei Männer abholten, das geputzt und geflickt wurde, nicht seinen Preis haben?

Wir nehmen diese Veränderung wahr und fragen uns, was mit dem Zürcher Brockenhaus passiert ist.

Vielleicht erklären wir uns zu wenig. Diese Veränderung ist aus Leidenschaft passiert. Wir haben uns entschlossen, Möbel einzukaufen, weil wir sonst an die ganz gute Ware nicht mehr rankommen würden. Wir sind völlig transparent. Für jeden Franken wird belegt, woher er kommt und wohin er geht.

Und wie entstehen die Preise?

Im ersten Stock passen wir sie dem Markt an. Wenn ein Stuhl in der IKEA 20 Franken kostet, darf er bei uns maximal 10 Franken kosten. Bei den eingekauften Möbeln steht eine normale Kalkulation zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis dahinter.

Spricht da der Betriebsökonom?

Wir sind nach wie vor nicht gewinnorientiert. Es geht darum, die Firma zu unterhalten. Der Gewinn fliesst in die Wohlfahrtsstiftung, diese verteilt ihn an soziale Institutionen. Unsere Angestellten arbeiten für einen marktüblichen Lohn. Andere Brockenhäuser leben von geschützten Arbeitsplätzen. Sie bekommen Geld vom Sozialamt, wenn sie jemanden einstellen. Wir unterhalten auch zwei geschützte Arbeitsplätze, das Geld vom Sozialamt nehmen wir jedoch nicht an. Ich bin stolz darauf, einen Betrieb zu führen, der 30 Arbeitsplätze finanzieren und aufrechterhalten kann.

Ueli Müller, 52 Jahre

Ueli Müller ist seit 2008 Geschäftsführer des Zürcher Brockenhauses. Zuvor war der Betriebsökonom CEO einer Zweigniederlassung der Avanti Idea AG, einer Tochterfirma der Möbel Pfister AG.