Katja ist erschöpft. Einen Sommer lang hat sie um ihre verdienten Punkte gekämpft. Patrice Siegrist

Katja besiegt den Erasmus-Papiertiger

Ein fehlendes Dokument hätte die 22-jährige Kunstgeschichtestudentin fast um den rechtzeitigen Bachelor gebracht.

21. September 2011

La Latina, Madrider In-Viertel. Die Luzernerin Katja macht Erasmus, nach zwei Studienjahren in Zürich will sie spanische Kultur kennenlernen. Sie lebt unter Einheimischen, unternimmt wenig mit anderen Austauschstudierenden. Das Spanisch der 22-jährigen Kunsthistorikerin ist heute das einer Madrilenin.

Sie ist nicht die Einzige, die während ihrem Studium Fernweh verspürt hat. Im letzten Jahr haben 229 Studierende der Universität Zürich am Erasmus-Programm teilgenommen. Sie erwarten tolle Städte, tolle Menschen. Meist geht alles gut. Meist. Bei Katja nicht.

Bürokratie ohne Überblick

Sie schliesst mit der Erasmus-Koordinatorin des Kunsthistorischen Instituts ein Learning Agreement ab. Griechische, ägyptische und präkolumbianische Kunst und vieles mehr für 36 Punkte in sechs Modulen. Danach läge ihr Bachelor nur noch ein Semester entfernt.

Das Niveau an der Universidad Autónoma, der besten Uni Spaniens, ist höher als erwartet. Im Winter besteht Katja nur vier von sechs Modulen. Die nicht bestandenen Prüfungen wiederholte sie im Juni, und nun genügte ihre Leistung. Aber: Für ihren bevorstehenden Bachelor-Abschluss brauche Katja ihr Transcipt of Records mit Stempel und Unterschrift der Gast-Uni schon im August, sagt das Dekanat der Philosophischen Fakultät Zürich. Der Plan der Spanier sieht anders aus, das Dokument würde erst im September auf die Reise geschickt werden.

Für Katja steht nun ihr rechtzeitiger Studienabschluss auf der Kippe. Ihren Master würde sie erst verspätet beginnen können. Dabei kann sie eigentlich alles vorweisen. Die Noten der bestandenen Prüfungen sind online ersichtlich. Doch das genügt dem Dekanat nicht. Das könne auch gefälscht sein, heisst es. Also macht Katja in Madrid Druck – mitten im August stellte sich das als schier aussichtsloses Unterfangen heraus.

Ostia que calor, im madrilenischen Hochsommer kommt die Arbeit dem Stillstand nahe.

Katja hingegen arbeitet auf Hochtouren. Telefon- und E-Mail-Verkehr mit Studienberatung und Sekretariat des Kunsthistorischen Instituts der Abteilung Internationale Beziehungen, dem Dekanat der Philosophischen Fakultät, deren Studiendekanat. Und in der spanischen Hauptstadt dasselbe noch einmal. Wenn denn jemand antwortete. Keiner von all denen habe je den Überblick gehabt, sagt Katja. «Jeder war nur auf seine Teilaufgabe konzentriert, typisch Bürokratie halt.»

Bachelor unter Vorbehalt

Das Dekanat der Philosophischen Fakultät war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Auch wenn die Bologna-Reform den internationalen Austausch zwischen den Unis erleichtert hat und es unzählige Erasmus-Koordinatoren gibt: Da glücklicherweise nicht überall nach demselben Schema studiert wird und nicht jede Hochschule kongruent arbeitet, kommen Fälle wie Katjas vor. Schön, wenn einige davon doch noch gut ausgehen: Wenn es wisse, dass sie sich auch wirklich um ihren Bachelor bemüht habe, habe sie die Chance auf einen Bachelor «unter Vorbehalt», schlug das Dekanat vor. Es forderte von Katja die detaillierte Auflistung aller getätigten Korrespondenzen. Die letzte Aufgabe zum Erhalt des Bachelors also: Anruflisten zusammensuchen und E-Mail-Verkehr darstellen. Wann und wieso und mit wem hatte sie über was kommuniziert, alles musste rein. Mindestens 50 Einträge. Die Spanier nennen das una locura, Wahnsinn. Katja auch: «Das war Willkür! Es gibt keine Regelung, die eine solche Bedingung rechtfertigt.»

Gelohnt hat sich die Plackerei allemal, Katja konnte sich für ihren Master einschreiben. Germanistik und Kunstgeschichte in Zürich. Und auch das Transcript of Records aus Spanien wird bald eintreffen, zum definitiven Bachelor muss Katja dieses nun jetzt nur noch im Sekretariat vorweisen.

Ende gut, alles gut.

Learning Agreement

Das Learning Agreement ist ein Studienvertrag zwischen den Austauschstudierenden, dem Gast- und Heiminstitut. Ziel dieses Vertrages ist es, die Mobilität im Hinblick auf die Anrechnung der externen Leistungen frühzeitig zu planen.