Die Wirtschaft müsse der Allgemeinheit dienen, schreiben die Autoren des Blogs. Philip Schaufelberger

Ein Professor denkt an die Allgemeinheit

Marc Chesney fordert auf einem Blog zusammen mit anderen Dozierenden ein Umdenken in der Ökonomie. Zum Wohle der Öffentlichkeit.

21. September 2011

Die Krise ist nicht überwunden. Drohende Staatspleiten und der immer grösser werdende Unterschied zwischen den höchsten und untersten Einkommen gefährden den Wohlstand der Allgemeinheit. «Die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme sind grösser den je», ist Marc Chesney deshalb überzeugt.

Der Professor für Banking und Finance an der Universität Zürich hat im Jahr 2011 mit weiteren Autoren den Blog responsiblefinance.ch gestartet. Darin wird über aktuelle Probleme der Wirtschaft und deren Folgen für die Gesellschaft berichtet. Doch die Internetseite will mehr als bloss informieren.

Moral? Nie gehabt, nie gewollt

«Die Geschäftsbanken, die ‹too big to fail› sind, haben aus der jüngsten Finanzkrise gelernt, dass die Risiken, die sie eingegangen sind, am Ende des Tages vom Steuerzahler getragt werden», sagt Chesney. Und so geht es ihnen auch heutzutage einzig und allein um die Gewinnmaximierung – oftmals um jeden Preis. Bei schlechter Wirtschaftslage muss die Öffentlichkeit zahlen, an Gewinnen wird sie jedoch nicht beteiligt.

In der Tat scheinen die Finanzjongleure ausser Rand und Band. Wo auch immer Geld zu machen ist, wird zugelangt. Moralische Bedenken scheinen die meisten jedenfalls nicht zu plagen. Doch wie kommt das? Wer hat Schuld an der moralischen Verrohung eines gros­sen Teils der Finanzelite?

Grund und Lösung des Problems

Für Chesney tragen die Hochschulen daran klar eine Mitverantwortung. Schliesslich wurden in ihnen die heutigen Finanzexperten ausgebildet. Deshalb ist auf dem Blog ein Aufruf veröffentlicht, den bereits etliche Dozierende und Fachleute unterzeichnet haben. Gefordert wird nichts Geringeres als die fundamentale Erneuerung der Disziplin ‹Wirtschaftswissenschaften›. «Seit etwa 30 Jahren ist die Realökonomie völlig von der Finanz durchdrungen», sagt Chesney. Den Studierenden würde damit ein zu einseitiges Bild dieses Felds vermittelt.

In der Forschung müsse, heisst es im Aufruf, deshalb eine Vielfalt von Analyseansätzen und die Etablierung von interdisziplinären Lösungswegen durchgesetzt werden. So sollen etwa Ethik und andere Sozialwissenschaften miteinbezogen werden. Nur so könne man den aktuellen Wirtschaftsproblemen begegnen. Ausserdem soll den Studierenden vermittelt werden, dass die Lehre und Forschung der Öffentlichkeit, die sie finanziert, zu dienen habe. Nicht umgekehrt.

Dabei stehen vor allem die Dozierenden in der Pflicht. Chesney: «Als Professoren haben wir primär Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit und nicht gegenüber privaten Interessen.» Um diesen Anspruch in den gesamten Wirtschaftswissenschaften in die Tat umsetzen zu können, sollen, so der Aufruf, Wirtschaftsdozierende vor ihrer Aufstellung geprüft werden. So müssten sie sich fähig zeigen, sozio-ökonomische Probleme unter Beachtung ethischer und nachhaltiger Maximen zu lösen. Die Ökonomie steht vor grossen Aufgaben.