Max Frisch sammelte beim «Zürcher Student» erste journalistische Erfahrungen. PD

Plädoyer für Schweizer Bühne

Im damals braunen «Zürcher Student» warnte Max Frisch 1938 vor einem Emigrantentheater.

5. Mai 2011

«Man weiß, daß die einzige Sprechbühne in Zürich, deren Leiter sich zum Rücktritt entschlossen hat, vor Sein oder Nichtsein gestellt ist.»

So beginnt Max Frischs Artikel vom Juni 1938 im ZS, damals noch «Zürcher Student» genannt und politisch braun gefärbt. Damit klinkt sich der 27-jährige Architekturstudent in die hitzige Debatte um die Zukunft des Schauspielhauses Zürich ein und macht sich für den Erhalt einer Schweizer Bühne stark.

«[…] diesmal [sei] weniger von der Schauspielkunst gesprochen, zu deren leidenschaftlichen und treuesten Freunden sich der Schreiber zählt, sondern von Dingen, die allgemeiner sind und alle angehen, von Dingen unserer kulturellen Selbsterhaltung.»

Jüdischer Direktor tritt zurück

Max Frisch verfasst den Artikel «Ist Kultur Privatsache? Grundsätzliches zur Schauspielhausfrage» in einer brisanten Zeit. Deutsche Truppen besetzen Österreich und erwirken damit den «Anschluss» an das Deutsche Reich. In der Schweiz wächst die Angst vor einem Einmarsch. Zahlreiche deutsche Emigranten, die sich vor allem in Zürich niedergelassen haben, bereiten ihre Flucht vor. In diesem politischen Klima kämpft das Schauspielhaus Zürich ums Überleben.

Den Frontisten, der Schweizer Variante der Nationalsozialisten, sind Flüchtlinge, zumeist Juden oder Antifaschisten, ein Dorn im Auge. Besonders das Schauspielhaus Zürich ist in ihren Augen zu einer «jüdisch-bolschewistischen» Emigrantenbühne verkommen. Der jüdische Schauspielhausdirektor und -besitzer Ferdinand Rieser tritt 1938 wegen des massiven Drucks zurück und wandert nach Amerika aus.

Von Schweizern für Schweizer

Nun entbrennt eine rege Diskussion um die Übernahme des Schauspielhauses. Welchen Weg wird die neue Führung der Pfauenbühne einschlagen? Den eines Emigrantentheaters oder den eines schweizerischen Nationaltheaters?

«Wir denken indessen vor allem daran, daß die Bühne jedenfalls, wem sie auch gehören mag, auf Schweizerboden steht und daß es sich dabei [...] um ein Frontstück allererster Ordnung handelt, um eine Stellung, deren mögliche Wirkung gar nicht überschätzt werden kann.»

Frisch plädiert in seinem Artikel für eine Übernahme durch die Stadt Zürich. Sie soll in seinen Augen die Unabhängigkeit des Theaters wahren. Als Vefechter der Geistigen Landesverteidigung fordert er die kulturelle Erhaltung der Schweiz. Er spricht sich somit für eine Bühne aus, auf der Schweizer Schauspieler Schweizer Stücke für ein Schweizer Publikum spielen. Dies klingt befremdend von einem Schriftsteller, der später mit kritischen Werken wie «Andorra» oder «Schweiz ohne Armee? Ein Palaver» berühmt wird.

Mittler in Europa

Frisch geht es bei der Schauspielhausfrage in erster Linie um die kulturelle Autonomie und Zukunft der Schweiz. Faktisch stellt er sich mit diesen Aussagen gegen das Emigrantentheater. Dennoch unterscheidet er sich von den Frontisten. Seiner Meinung nach sollte man sich kein «trojanisches Pferd» nach Zürich holen, wie er deutsche Nationalsozialisten metaphorisch bezeichnet.

«Wir sind ein Volk unter Völkern, ohne Größenwahn und ohne Minderwertigkeit, ein Volk mit eigener Aufgabe, mit eigenem Glauben, mit eigenem Staat und eigener Kultur – Und mit einer eigenen Bühne?»

Noch im selben Jahr kommt es zur Abstimmung. Die Zürcher sprechen sich gegen eine städtische Übernahme des Schauspielhauses aus. Schliesslich erwirbt eine Interessentengruppe die Pfauenbühne und wählt den Basler Regisseur Oskar Wälterlin zum neuen Leiter. Wälterlin schafft es, eine Balance zwischen Emigrantentheater und Schweizer Bühne zu finden. Neben Uraufführungen von Bertolt Brechts berühmtesten Werken bringt er auch Schillers «Wilhelm Tell» auf die Bühne. Nach dem Zweiten Weltkrieg gilt das Zürcher Schauspielhaus als Mittler in Europa, sein Spielplan wird als vorbildlich bezeichnet und von vielen deutschsprachigen Theatern übernommen.

«[…] und wenn jemals eine Stunde für das schweizerische Theater [...] günstig und fruchtbar sein kann, dann ist es heute!»

In alter Freundschaft

Max Frisch, dessen Denken bald an Radikalität verliert, zeigt sich schliesslich mit den Entwicklungen der Schauspielhausfrage zufrieden. Auch er sollte die Gelegenheit bekommen, die Geschichte der Pfauenbühne mitzuschreiben. Von Wälterlin entdeckt und ermutigt, schreibt Frisch einige der bedeutendsten deutschen Dramen der Nachkriegszeit, wie «Biographie: Ein Spiel» und «Andorra». Die meisten werden am Pfauen uraufgeführt. Noch heute greift das Schauspielhaus gerne auf Frischs Werke zurück. Mit seinen Stücken prägte er den Ruf des Schauspielhauses massgebend.

Auf diesem Verhältnis aufbauend, widmete er auch sein 1961 uraufgeführtes Stück «Andorra» dem Zürcher Schauspielhaus «in alter Freundschaft und Dankbarkeit». Zur Person

Max Frisch studierte zunächst einige Semester Germanistik an der Uni Zürich, dann Architektur an der ETH. Sein Text «Was bin ich?» (ZS, 1932) gilt als der Anfang seines literarischen Schaffens. Zu seinen bekanntesten Werken zählen heute unter anderem «Homo faber» und «Andorra». Obwohl er selten öffentlich politisierte, kritisierte er in seinen Texten oft die Haltung der Schweiz während des Krieges. Am 15. Mai 2011 hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert.