Einfach nicht abschmieren!

Florian hat den exklusivsten Kurs des ASVZ gebucht und ist mit den fliegenden Akademikern mitgesegelt.

5. Mai 2011

Ich gleite zum ersten Mal auf 1700 Metern durch die Luft. Der Wind pfeift am Segelflugzeug vorbei. Dennoch herrscht eine seltsame Stille. Die Landschaft liegt idyllisch unter mir. Da unterbricht plötzlich ein Piepsen die Ruhe. Rote LED- Warnlampen blinken auf. Ich schaue mich um, schwitze und denke: «Eigentlich hat doch alles so ruhig begonnen.»

Ideales Flugwetter

Ich stehe ratlos inmitten von Rapsfeldern und halte nach dem Flugplatz Ausschau. Birr im Kanton Aargau. In dieser verlassenen Gegend hat mich der Zug also ausgespuckt. In der Ferne flattert ein roter Windsack. Ich steuere auf ihn zu. 20 Gehminuten später stehe ich vor dem Rollfeld Birrfeld. Ein Kleinflugzeug donnert über meinen Kopf. Wenige Meter neben mir setzt es zur Landung an.

Beissender Geruch von Kerosin liegt über dem heissen Asphalt. Hier also soll ich einen Schnupperflug der Akademischen Fluggruppe (AFG) absolvieren.

«Du hast dir ein Bombenwetter ausgesucht», schwärmt Clemente Dal Magro, Vizepräsident der AFG. Segelfliegen ist enorm wetterabhängig. «Vor allem eine günstige Thermik ist wichtig», erklärt Dal Magro, den sie hier Clemi nennen. Thermik? Er erklärt mir, dem in Sachen Physik ahnungslosen Germanisten, dass steigende Luft für den Auftrieb der Segelflugzeuge verantwortlich ist.

Wir beginnen mit dem Zusammenbauen der Flugzeuge. Man nehme einen Rumpf, zwei Flügel und ein Höhenruder und stecke die Teile zusammen. Kann so ein Lego-artig gebautes Flugzeug in der Luft nicht auseinander fallen? Clemi verneint. Aber vor dreis­sig Jahren sei das anders gewesen. «Ein Freund von mir musste während eines Fluges aussteigen, weil der Steuerknüppel abgebrochen war», mischt sich ein Flugdienstleiter in unsere Unterhaltung. Wie steigt man bitte auf 1700 Metern aus? So langsam wird mir das Ganze unheimlich. «Die Piloten nehmen Fallschirme mit», sagt er. Werden die denn oft gebraucht? «Nicht sehr oft. Die meisten Unfälle passieren durch Pilotenfehler», versucht er mich zu beruhigen und fügt an: «In meinem Club sind in den letzten 35 Jahren nur drei Kollegen abgeschmiert.»

Segelfliegen ist ein abenteuerlicher Sport. Auch mein Fluglehrer Beat hat einige Geschichten von seinen 3000 Flügen zu erzählen. Wie sieht er das Risiko eines Absturzes? «Segelfliegen ist keine Risikosportart, aber das Sterberisiko nimmt zu wie bei einem Kettenraucher.» Trocken fügt er an: «Es gibt alte Piloten und risikoreiche Piloten. Es gibt aber keinen alten und risikoreichen Piloten.» Ziemlich abgebrüht, diese Flieger.

Mit «Mausi» durch die Luft

Nach einem kurzen Briefing heben die ersten Flieger ab und gegen Mittag sind die meisten in der Luft. Drei Stunden später bin ich endlich an der Reihe. Ich steige mit dem Fallschirm auf dem Rücken ins Cockpit. Hinter mir sitzt Beat, der mich in die Instrumente einführt. Das Schulungsflugzeug AJ, von den Clubmitgliedern liebevoll «Mausi» genannt, ist ein Zweisitzer. Die Steuerung funktioniert wie das Brems- und Gaspedal in der Autofahrschule. Sie bewegt sich simultan. Vor uns steht ein Motorflugzeug, mit dem uns ein Seil verbindet. Clemi hält den Flügel unseres Segelflugzeugs hoch und gibt dem Piloten des Motorflugzeuges das Startzeichen. Ein kurzer Ruck, und die Maschine hebt ab. Beat hält unseren Segler genau hinter dem Flugzeug.

Auf 1500 Meter klinken wir das Seil aus. Das erste Mal in meinem Leben segle ich ohne Motor durch die Luft. Doch ich bleibe erstaunlich gefasst, gar emotionslos. Wir erwischen einen Aufwind und segeln auf 1700 Meter. Noch höher hinaus dürfen wir nicht, weil wir sonst in die Zone der Linienflugzeuge kommen. Unter uns sehe ich Rapsfelder, Waldflecken, kleine Häuser und weiter hinten den Flugplatz. Eine herrliche Idylle. Doch jetzt muss ich das Steuer übernehmen. Keine Zeit mehr zum Geniessen. Als erstes soll ich eine Kurve fliegen. Beat lässt den Steuerknüppel los und gibt mir die Anweisung, nach links zu drehen. Meine Hände beginnen zu schwitzen. Nach der Drehung stelle ich das Flugzeug wieder gerade, und vor uns erscheint der Hallwilersee. Auf ihn halte ich Kurs. Es ist eine grosse Kunst, den Segler ruhig zu halten. Immer wieder stossen mich Böen vom Kurs weg, und ich muss das Flugzeug wieder gerade stellen. Das erfordert viel Feingefühl.

Auf Kollisionskurs

Da unterbricht plötzlich ein Piepsen die Ruhe. Rote LED-Warnlampen blinken auf. Kollisionsgefahr! Ich bin überfordert. Beat macht mich auf zwei Segler unter uns aufmerksam. Jetzt also auf keinen Fall einen Sturzflug einleiten.Wir verlieren weitere 200 Meter an Höhe. Endlich geraten wir in einen neuen Aufwind, den ich jetzt ausnutzen muss. Ich drücke mit dem rechten Fuss auf das Pedal und ziehe am Steuerknüppel.

Kreisend steigen wir zwei Meter pro Sekunde. Ich merke, wie angespannt ich bin. Beat übernimmt wieder die Steuerung und setzt gleich zu einem Sturzflug an. Das Gefühl im Magen ist dasselbe wie auf der Achterbahn. Ein totales Gewirbel. Beat lenkt die Maschine wieder Richtung Flugplatz und beginnt den Landeanflug.

Kurze Zeit später landen wir sicher auf der Wiese von Birrfeld und stossen Mausi zurück in den Hangar.