Peter Doeberl, 63, schreibt seit fünf Jahren wissenschaftliche Arbeiten für Studierende. Andreas Rizzi

«Studis gehen lieber in die Beiz»

Ghostwriter Peter Doeberl schreibt bis zu 25 Arbeiten im Jahr. Dafür kriegt er keinen Abschluss, aber bis zu 20’000 Franken pro Auftrag.

23. März 2011

Peter Doeberl, ich möchte mir von Ihnen eine Seminararbeit schreiben lassen. Wie läuft das ab?

Sie kontaktieren mich zuerst via E-Mail, danach treffen wir uns. Ich muss den Menschen kennenlernen, für den ich eine Arbeit schreiben soll. Das Ganze muss besprochen werden, und ich möchte sehen, wie Sie auf bestimmte Dinge reagieren.

Und nach dem ersten Treffen?

In den meisten Fällen haben die Studierenden schon eine gewisse Vorstellung vom Inhalt und davon, wie die Arbeit aufgebaut sein soll. Die Vorgaben, wie etwa die korrekte Zitierweise, muss man mir vorlegen. Die Uni hat beispielsweise andere Regeln als die ETH.

Ich lese mich auch in Arbeiten ein, die Sie schon geschrieben haben, um Ihren Stil und die Argumentationsweise zu übernehmen. Ich muss mich Ihrer Sprache anpassen, sonst merkt man das sofort. Danach kann ich loslegen.

Das klingt ziemlich zeitintensiv.

Das ist es. Vor allem die Lektüre kostet viel Zeit. Ich bin jetzt an einer Arbeit dran und habe dafür sechs Bücher auf meinem Schreibtisch.

Weshalb kommen die Studierenden zu Ihnen?

Also, ich will das nicht mit ‹keine Lust› umschreiben, sondern eher sagen, dass die Motivation, der Antrieb fehlt. Studierende gehen halt lieber abends noch in die Beiz oder zwei Wochen in die Skiferien. Da machen sie halt nichts, obwohl sie die Bücher wahrscheinlich dabei hätten.

Wie viele Arbeiten schreiben Sie pro Jahr?

Zwischen 20 und 25, die meisten sind Lizentiats- und Seminararbeiten. Ich habe auch schon eine Doktorarbeit geschrieben. Benotet werden sie zwischen 5 und 5.5, dadurch werde ich auch häufig weiterempfohlen. Es gibt auch Studierende, für die ich schon mehrere Male grössere Arbeiten schrieb. Die kamen zwei, drei Mal. Deren Stil kenne ich mittlerweile, das braucht dann auch weniger Vorarbeit.

Wurde schon jemand erwischt?

Nicht, dass ich wüsste. Ich hätte bestimmt von der- oder demjenigen davon erfahren. Es ist wichtig, sorgfältig zu arbeiten. Es würde sich schnell herumsprechen, wenn ich meine Arbeit schlecht machen würde. Da wäre ich schnell weg vom Fenster.

Wer zahlt das Ganze überhaupt?

Ich würde sagen, dass bei fast allen die Eltern zahlen. Gerade bei den grösseren Arbeiten. Studierende können eine Summe von 10’000 Franken nie in ihrer Freizeit verdienen. Vielfach geschieht das auch zu einem grossen Teil auf Initiative der Eltern. Die sagen sich dann: ‹Lieber die Summe zahlen, als dass mein Kind durchs Studium rasselt›.

Können Sie die Situation der Studierenden, die eine Arbeit für sich schreiben lassen, nachvollziehen?

Ja, das kann ich sehr gut. Bei Studierenden mit gut betuchten Eltern habe ich manchmal aber schon das Gefühl, dass die einfach zu nur zu faul sind, selber in die Tasten zu greifen.

Arbeiten Sie ganz alleine an einer Arbeit?

Ja, ich schreibe die Arbeit alleine. Meine Frau liest sie ab und zu durch. Manchmal vertue ich mich, dann ist sie meine Lektorin. Ich verlange aber von meinen Kunden eine gewisse Vorarbeit. Vor allem bei der Recherche zu einem Thema. Wenn jemand kommt und einfach sagt, ‹schreiben Sie mir eine Arbeit›, dann lehne ich den Auftrag ab. Auch die Bücher und sonstige Unterlagen müssen sie mir bereitstellen.

Schreiben Sie über alles?

Grundsätzlich mache ich keine Einschränkungen. Ich schreibe zu jedem Thema, ausser zu Physik und Chemie. In diesen Fächern habe ich meistens geschwänzt. Ich schreibe auch Reden für Politiker.

Für wen?

Ich habe beispielsweise für Willi Ritschard geschrieben (SP-Bundesrat von 1973 bis 1983, Anm. der Redaktion). Für SVP-Leute schreibe ich aber aus Prinzip nicht.

Gibt es Studierende, die sich nach Abschluss der Arbeit bei Ihnen melden?

Ja, es gibt eigentlich nur positive Rückmeldungen. Natürlich gibt es auch jene, die sich gar nicht melden. Aber das ist mir dann auch egal.

Ist Ihre Tätigkeit legal?

Den Schritt in die Illegalität gibt es. Nur macht den halt die Studentin oder der Student. Ich trete die Rechte an der Arbeit ab, es steht auch nirgends mein Name. Am Schluss ist es ihre oder seine Arbeit und man kann sie abgeben, während ich von nichts weiss.

Haben Sie kein schlechtes Gewissen? Schliesslich leisten Sie dem Betrug Vorschub.

Nein, das habe ich prinzipiell nicht. So etwas muss der Student selbst wissen und es mit sich selbst vereinbaren können. Ich mache ja bei akademischen Arbeiten im Prinzip das Gleiche, wie wenn ich zum Beispiel für einen Bundesrat oder eine Bundesrätin eine Rede schreibe und diese Person sie dann als ‹ihre› Rede vorträgt.

Das Geld steht bei dieser Tätigkeit sicherlich im Vordergrund.

Nein. Es ist so, dass ich viel dabei lerne und meine Allgemeinbildung dadurch auch grösser wird. Allein wegen des Geldes würde ich es nicht machen.

Sie selbst haben nie eine Universität besucht.

Nein. Ich habe früh meine Eltern verloren. Da ich zwei kleine Geschwister hatte, musste ich diese durchbringen. Damals hatte ich die Matura noch nicht, sondern habe gearbeitet und später neben dem Gymnasium dann auch noch den Haushalt gemacht. Das war alles in allem eine relativ harte Zeit. Aber es ging, und deshalb sage ich immer, man kann alles machen, man braucht bloss den Willen dazu.

Was sagen Sie zum Fall Guttenberg? Hatte der einen schlechten Ghostwriter oder einfach abgeschrieben?

Er hat das ganz einfach selbst schlecht abgeschrieben und kopiert. Das ist fatal. Ich achte darauf, dass ich alles, was ich von irgendwoher habe, korrekt zitiere und angebe. Ich halte mich an die wissenschaftlichen Standards.

Kennt man sich unter Ghostwritern?

Ich habe einen Kollegen aus Zürich, der auch Ghostwriter ist. Wir treffen uns einmal im Monat und reden über unsere Arbeit. Wir stellten auch schon fest, dass der Andere für jemanden schreibt, den man selbst abgelehnt hat.

Können Sie diesen Job einem arbeitslosen Studienabgänger empfehlen?

Vorausgesetzt, dass er oder sie gut Deutsch kann, ja. ◊

Peter Doeberl, 63, aus Aarwangen bei Bern, lässt seit fünf Jahren Andere die Lorbeeren für seine Arbeit einheimsen. Der Journalist und Weltenbummler, der nie an einer Universität studiert hat, schreibt fast alles: von Reden für Politiker bis zu Seminar- und Lizenziatsarbeiten. Eine Uniarbeit kostet zwischen 6000 und 20’000 Franken.