Duell: Begrüssungsküsschen

Das Begrüssungsküsschen als lästige Begrüssungsart und Beweis der sozialen Ader. Und warum es hygienisch ist oder eben nicht.

Johannes Luther (Dafür) und Daniela Zimmermann (Dagegen)
23. März 2011

Dafür

Was wäre das anonyme Unileben – nein, die Welt! – ohne Begrüssungsküsschen? Wohl noch trister, als es sowieso schon ist. Wenn man sich an einem anstrengenden und monotonen Tag durch die dunklen Unikorridore schleppt, kommt ein schnelles Begrüssungsküsschen als Aufheller gerade recht. Unsere heutige Gesellschaft ist unpersönlich, und Freundschaften finden grösstenteils nur noch im Internet statt. Da sind es gerade die Begrüssungsküsschen, die uns wenigstens für ein paar Sekunden das Gefühl geben, fühlende Lebewesen zu sein.

Es sind nicht der konservative Handschlag oder das kindische High-Five, die unserem sozialen Leben gut tun. Es sind die Küsse auf die Wange. Mit dem Begrüssungskuss beweist sie (selten er) ihre soziale Ader.

Begrüssungsküsschen sind ausserdem auch völkerverbindend. Da dieses Begrüssungsritual auf dem ganzen Globus verbreitet ist, kann sich der Studierende von Welt schnell überall zurechtfinden und neue Kontakte knüpfen. Hier sollten natürlich die regionalen Feinheiten beachtet werden. Während Deutsche nur zwei Busserls verteilen, bedienen sich Pariser deren vier. In der Schweiz sind es meistens drei. Normalerweise startet die Begrüssung auf der linken Wange, das kann aber von Fall zu Fall variieren. Es ist nämlich nicht festgelegt, wie und auf welcher Wange die Aktion stattfindet. Scheitern wird diese Begrüssungsart aber bestimmt nicht an solchen Kleinigkeiten.

Übrigens sind Begrüssungsküsschen in der Grippezeit besonders wertvoll. Englische und amerikanische Forscher haben bewiesen, dass beim biederen Handschlag mehr Bakterien übertragen werden als beim gegenseitigen Anfeuchten der Wange. Viele Erkältungen und Infekte könnten also mit Hilfe der Begrüssungsküsschen verhindert werden.

Wer Begrüssungsküsschen verteilt und entgegennimmt, outet sich also als soziales, kosmopolitisches und auf die allgemeine Gesundheit achtendes Mitglied unserer Gesellschaft. Die Welt wäre eine bessere mit mehr Begrüssungsküsschen!

Dagegen

Begrüssungsküsschen sind absolut überflüssig. Immer dieselbe Leier: «Hallo, freut mich», Küsschen hier, Küsschen da. Noch während dem ersten Kuss auf die rechte Wange kommt die peinliche, klärende Frage: «eins oder drei?» Selten herrscht Konsens bevor der zweite Wangenkontakt anstehen würde. Sogleich macht sich ein unangenehmer Moment zwischen den zwei Unbekannten breit: Der Eine will noch mal, während der Andere seine Bakterien schon dem Nächsten in der Runde übergibt. Meist ist noch ein Deutscher dabei und somit die Verwirrung komplett. Unsere nördlichen Nachbarn mögen bekanntlich die goldene Mitte und drücken auf jede Wange einen Schmatzer. Muss die erste Begegnung immer mit einem Patzer beginnen?

Nicht nur bei der Zahl der Küsschen herrscht Uneinigkeit. Auch die Art der Begrüssungsküsserei schafft Momente der Verlegenheit. So imitieren die einen laut das schnalzende Kussgeräusch, andere halten stumm Wange gegen Wange und die dritten drücken gar die gespitzten Lippen auf die fremde Backe.

Besonders in einer grossen Runde ist es einfach nur nervig. Du bist mitten in einem spannenden Gespräch und wirst ständig unterbrochen, weil dich Kollegen von Freunden küssen wollen. Und wenn du schon die ganze Begrüssungszeremonie mitmachst, musst du auch noch die Alibifrage «Wie gehts?» beantworten. Mit einem erzwungenen Lächeln hälst du die Standardantwort «Gut, Danke und dir?» bereit – nur um nicht unhöflich zu sein. Denn eigentlich interessierst du dich weder für das Wohlbefinden deines Gegenübers noch für seine Bakterien. Diese ganze Heuchelei ist unnötig. Ein allgemeingültiges Hallo in die Runde tuts auch. Danach kannst du in Ruhe auf diejenigen zugehen, die du richtig begrüssen willst und an deren Seelenzustand du ernsthaft interessiert bist. Ausserdem soll jeder selbst entscheiden können, wem er so nahe kommen will und wem nicht. Denn nichts ist unangenehmer, als Leute zu küssen, die einen abstossen. Und nichts ist gemeiner, als jemanden demonstrativ nicht zu küssen, nachdem man ein ganzes Rudel abgeknutscht hat.

Und deshalb sag ich: Lassen wir die sinnlose Küsserei doch einfach! Guten Freunden gilt sowieso eine Umarmung. Bekannte kann man mit einem schlichten «Hoi» begrüssen. Bei Fremden reicht ein Handschlag. Männer untereinander kommen schliesslich auch ohne Küsschen aus. Zumindest hierzulande.