Der UNAM-Campus ist riesig.

Campus mit über 300’000 Einwohnern

Studierende der Universidad Nacional Autónoma de México leben in einer Stadt fast so gross wie Zürich. Da geht schon einmal die Übersicht verloren.

23. März 2011

Elf Buslinien, ein eigenes Fussballteam in der höchsten Liga und der Eintrag in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Die Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) ist der Stolz mexikanischer Bildungseliten, ihr Campus der grösste Lateinamrikas

Die olivgrüne Metrolinie 3 erreicht die Endstation «Universidad». Tatsächlich bildet diese Endhaltestelle den Anfangspunkt einer Entdeckungsreise. Die Menschenmassen, die sich hier beim Ein- und Aussteigen kreuzen, sind wie vielerorts in der 25-Millionen-Metropole enorm. Schmusende Pärchen und Lerngruppen geniessen bereits morgens das Studentenleben unter den schattenspendenden Bäumen auf den zahlreichen Grünflächen.

Ein Wegweiser bietet grobe Richtungsangaben zu den verschiedenen Fakultäten. Die meisten sind auf dem 1000 Hektar grossen Campus vertreten. Zu Fuss sind die Wege kaum zu bewältigen, wer ein Fahrrad besitzt, ist auf dem Universitätsgelände schon schneller unterwegs. Das umweltfreundlichste aller Bewegungsmittel ist in der Grosstadt Mexiko City schon beinahe lebensgefährlich. Auf dem Campus ist es hingegen dank zahlreichen Velowegen recht angenehm. Gemütlich kurven tausende Studierende mit ihren Vehikeln geräuschlos durch die Weiten des Campus.

Das individuelle Fahrgerät geniesst unter Studierenden dennoch erste Priorität. Vor jeder Fakultät reihen sich unzählige Parkplätze. Nur wer sich kein Auto leisten kann, fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Für die weniger gut betuchten Studierenden verfügt das Universitätsgelände über ein eigenes Verkehrsnetz mit insgesamt elf Buslinien.

Studiengebühren: Ein Peso

Das Bussystem ist für die Studierende gratis. Genauso ist die öffentliche und seit 1929 autonome Universität für jeden kostenlos – sofern man das Bachillerato (Matur) mindestens mit der Note 7 (von 10) besteht und eine Aufnahmeprüfung erfolgreich absolviert. Lediglich die Semestergebühren von einem Peso (rund acht Rappen) sind zu entrichten und entkräften jeglichen Vorwurf, dass in Mexiko nur Gutsituierte studieren könnten.

Die Fächerauswahl ist riesig, und ein Grossteil der akademischen Elite Mexikos hat seine Sporen an der UNAM abverdient. Seit ihrer Gründung im Jahre 1910 behauptet sich die UNAM als wichtigste Bildungsinstitution des Landes und trägt mit der Ausbildung der akademischen Elite dazu bei, den Fortschritt im Schwellenland Mexiko voranzutreiben. Mit 270’000 Eingeschriebenen bildet sie heute zehnmal mehr Studierende aus, als die Universität Zürich es vermag.

Grosse Anziehungskraft

Das riesige Ausmass des Campus stellt jedoch für die Studierenden selten ein Problem dar. Die einzelnen Fakultäten verfügen über eine eigene, facettenreiche Infrastruktur mit Hörsälen, Bibliotheken und Verpflegungsmöglichkeiten. 2007 erklärte die UNESCO die Universitätsstadt (Ciudad Universitaria) zum Weltkulturerbe. Das Gebäude der sechsstöckigen Hauptbibliothek hat dank seiner beeindruckenden Mosaikfassade Weltruhm erlangt und ist eine der touristischen Sehenswürdigkeiten von Mexiko City. Die Auszeichnung der UNESCO erhielt die UNAM vor allem aufgrund der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts. Über 60 Architekten haben bei der Planung und dem Bau des Campus mitgewirkt. Sie ist ein Wahrzeichen, nicht nur von der UNAM, sondern von ganz Mexiko City.

Das Herz der Uni bildet die Hauptbibliothek mit den umliegenden Grünflächen und Sportplätzen. Hier riecht es nach typisch mexikanischem Strassenessen, unüberhörbar sind die Verkäuferinnen und Verkäufer, die ihre Speisen lautstark anpreisen. Unzählige Studierende verbringen ihre Pausen im Freien und gönnen sich mexikanischen Fastfood, wie etwa Tacos, Quesadillas oder Churros, die in ganz Lateinamerika bekannten Süsswaren. Gerade zur Mittagszeit erinnert das Geschehen mehr an einen Freizeitpark als an eine Bildungsstätte.

Die UNAM als kreatives Zentrum schafft ausserdem immer wieder Platz für beeindruckende Ausstellungen. So sind etwa am «Día de los Muertos», einem Gedenkfest für Verstorbene, auf dem Campus während einer Woche beeindruckende Ofrendas (Opferaltare) ausgestellt.

Neben der Kultur geniesst Sport an der Universität einen enorm hohen Stellenwert. Natürlich regiert auch in Mexiko König Fussball das Sportgeschehen. Kein Wunder sind die Fussballspiele im Olympiastadion, welches sich mitten auf dem riesigen Campus befindet, ein besonderes Erlebnis. Nicht umsonst gelten die «Fanáticos» des Studentenclubs als die heissblütigsten und lautesten Fans in Mexiko. Ihre «Pumas» sind eines der erfolgreichsten Fussballteams in der höchsten mexikanischen Liga. Ende 2010 konnten sie als Aussenseiter im Viertelfinal den Stadtrivalen Cruz Azul besiegen und sorgten für ein riesiges Freudenfest auf dem Campus.

Bewegte Geschichte

Sport gab an der UNAM jedoch nicht immer Anlass zur Freude. Einen Eintrag in den Geschichtsbüchern Mexikos bekam der Studentenaufstand von 1968, der am 2. Oktober mit einem Massaker, in dem mehrere Hundert Studierende getötet wurden, seinen traurigen Höhepunkt erreichte. Die Demonstrierenden taten damals ihren Unmut gegenüber den Olympischen Spielen kund. In ihren Augen kostete der Anlass den Staat Geld, auf das die Bevölkerung im sehr armen Land einen Anspruch gehabt hätte.

Streiken hat in Mexiko eine grosse Bedeutung und gilt als Mittel zum Ausdruck der Unzufriedenheit. Ein Studierendenstreik im Jahre 1999 dauerte über neun Monate, ehe das Universitätsleben weiterging. Damals war eine geplante Gebührenerhöhung von ehemals einem Peso (0.02 Dollar) auf 65 Dollar pro Semester Anlass des Protestes.

Zur Zeit ist die Stimmung an der UNAM friedlich – von Streiks oder Demonstrationen ist nichts zu sehen. Es ist 14 Uhr, die zahlreichen Hörsäle leeren sich. Überall herrscht Gedränge. Die einen Studierenden strömen in Richtung Cafés und Foodstände, andere bewegen sich direkt zur Metrostation. Von dort aus mischen sich die Massen der Studentenstadt wieder unter die Millionen der Megastadt Mexiko City. ◊