Primärquellen von Aufstandsbewegungen sind umstritten. Patrice Siegrist

Angst vor dem Staatsschutz

In einem Seminar über Aufstandsbewegungen rät der Dozent von Originalquellen ab. Studierende fühlen sich bevormundet und sorgen sich um die Wissenschaftlichkeit.

23. März 2011

«Es wird ausdrücklich davon abgeraten, Originalquellenmaterial von den hier behandelten Gruppen einzubeziehen.» Dieser Hinweis auf der Webplattform des Seminars «Innerstaatliche Konflikte», in dem es um Aufstandsbewegungen «mit besonderem Fokus auf revolutionäre Gruppen» geht, sorgt für Irritation bei den Studierenden. Die «Brisanz» des Themas erfordere ein «Höchstmass an Sensibilität» heisst es weiter. Zudem sei «jede Form von Gewalt gegen Personen [...] selbstverständlich zu verurteilen.»

«Offenbar traut man uns nicht zu, kritisch mit Propagandatexten umzugehen», sagt Lukas* dazu. Alexandra* fügt an: «Wir können doch selbst entscheiden, wie wir Inhalte von Aufstandsbewegungen beurteilen.» Für Laura* ist es positiv, dass überhaupt ein so brisantes Thema behandelt wird. Jonas* befürchtet, dass auf diese Weise wieder nur «Texte über Texte» entstünden. «Für mich ist das keine freie Wissenschaft, sondern Bevormundung.»

Im Visier des Staatsschutzes?

Seminar-Leiter Johannes Le Blanc und Petra Holtrup, Geschäftsführerin des Instituts für Politikwissenschaft, verteidigen sich gegen die Vorwürfe. «Wir verbieten die Benutzung von Primärquellen nicht», sagen sie. Die Studierenden sollten nur darauf hingewiesen werden, dass mit dem Thema und den Quellen verantwortungsvoll umgegangen werden muss. Mit «Quellen» meinen sie in diesem Fall Seiten von revolutionären Gruppen, wie zum Beispiel maoistischen Guerrillas. Im Gespräch mit der ZS äusserte Le Blanc auch die Befürchtung, dass der Staatsschutz aufmerksam werden könnte. Felix Endrich, Chef Kommunikation beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB), findet diese Sorge unberechtigt. «Der Aufruf einer Seite ist an sich nicht verboten.» Erst wenn man sich in Foren in einer Art und Weise bemerkbar mache, die als Gefahr für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz erkannt werde, zum Beispiel durch Aufruf zu «terroristischen oder gewaltextremistischen Handlungen», müsse der NDB aktiv werden.

Konfrontiert mit dieser Aussage sagt Le Blanc, dass sein Hinweis auf den Staatsschutz sich nur auf eine mögliche Folge bezogen habe. «Diese wollte ich nicht unnötig riskieren. Denn die fraglichen Webseiten sind für das Seminar gar nicht relevant.» Albert A. Stahel, Titularprofessor für Strategische Studien an der Uni, pflegt einen anderen Umgang mit solchen Originalquellen. Er versteht nicht, warum man nicht alle verfügbaren Primärquellen nutzen sollte. «Ich habe auch Seminararbeiten über das Handbuch der al-Qaida schreiben lassen. Der einzige Vorbehalt, den ich eingebracht habe, war der, dass niemand sicher ist, wer dieses Handbuch ins Netz gestellt hat.» Wenn es Webseiten – auch von al-Qaida – gebe, so müsse man diese auch konsultieren.

Le Blanc lässt die Hinweise weiterhin aufgeschaltet. «Bei einem heiklen Thema zeige ich lieber zu viel als zu wenig Sensibilität». ◊

*Namen der Redaktion bekannt.