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Alles nur geklaut?

Pro Jahr entdeckt die Universität Zürich zehn Plagiate. Die Dunkelziffer ist viel höher. Gegen Ghostwriting ist die Universität bis heute machtlos.

23. März 2011

Für seine erste Arbeit in Politikwissenschaften bekommt Mike keine Note. Dafür einen Brief vom Unianwalt mit dem Betreff: «Verdacht auf Plagiat».

Mike erschrickt und versteht die Welt nicht mehr. «Ich hab ja gewusst, dass ich nirgendwo abgeschrieben habe – aber unangenehm ist es schon, wenn man im ersten Semester zuerst einmal Post vom Unianwalt bekommt», erzählt er heute.

Mike ist nicht der Einzige, bei dem ein solcher Brief im Briefkasten gelandet ist. Jährlich verschickt die Uni Zürich etwa zehn solcher Briefe. Das Überprüfen von Arbeiten auf Plagiate ist den einzelnen Professoren überlassen. Die Unileitung und die Fakultäten sprechen nur Empfehlungen aus: Alle Dozenten sind dazu angehalten, jeden der eingereichten Texte kritisch zu lesen und besonders auf Stilbrüche zu achten.

Abklärungen durch den Anwalt

Bei Mike hat es der Professor besonders genau genommen. Er hatte den Verdacht, Mike habe unredlich gearbeitet. Und er hielt daran fest: «Er sagte mir, dass wohl jemand von mir abgeschrieben habe, dabei hatten ich und mein Kollege nur zusammen an dem Text gearbeitet. Das Problem war, dass ich noch als Urheber der Datei meines Freundes angegeben war.» Das erklärten die beiden auch dem Dozenten. Der wollte aber trotzdem eine Abklärung durch den Unianwalt: «Er meinte zu uns, er wolle einen Präzedenzfall schaffen.»

Dieses System der Uni erscheint etwas willkürlich, und das soll auch so sein. «Die Uni fährt ein System, das auch von der Überraschung lebt, mit welchen Instrumenten man konfrontiert wird», erklärt Thomas Hildbrand, Leiter des Bereichs Lehre an der Uni Zürich. Das scheint zu funktionieren: Alle Studierenden, die wir zu dem Thema befragt haben, geben an, dass sie fast nichts darüber wissen, wie die Uni Plagiate handhabt.

Dialog mit Studierenden suchen

Die Bereitschaft, selber einmal zu plagiieren, schwankt: «Ich würde vielleicht in minimalem Ausmass plagiieren, das heisst, ein paar Sätze da und dort – das könnte ich mir schon vorstellen, wenn ich in Not bin», meint Linda*, Englischstudentin im zweiten Semester. Für Nathalie*, Politostudentin im 4. Semester, kommt Plagiieren keinesfalls in Frage: «Wenn man sich an der Uni immatrikuliert, geht man mit ihr einen Vertrag ein, dass man ihre Regeln befolgen wird: Nicht zu plagiieren, gehört für mich dazu.» Ausnahmslos alle schätzen die Bereitschaft ihrer Mitstudierenden, zu plagiieren, als sehr hoch ein.

Laut Hildbrand wird in Zürich in Bezug auf Plagiate zuallererst auf Prävention gesetzt. «Die Uni vermittelt, was wissenschaftliche Redlichkeit ist. Sie will die Studierenden während der Zeit, in der sie hier sind, darin stärken, eine wissenschaftliche Identität auszubilden.» Das geschieht in den Proseminaren, in denen die Studierenden immer wieder auf den korrekten Umgang mit fremdem Gedankengut hingewiesen werden.

Hildbrand macht deutlich, dass die zweite Säule, auf die sich die Uni abstützt, der Dialog mit den Studierenden ist: «So prüfen wir auch auf Plagiate; wir wollen herausfinden, ob der Umgang mit dem Wissen professionell ist oder nicht.» Ist das bei mehr als 26’000 Studierenden überhaupt möglich? Hildbrand scheint skeptisch: «Vor allem die Massenuniversität ist diesbezüglich schlechter aufgestellt. Der direkte Dialog mit den jüngeren Akademikern ist sehr wichtig.» Aber: «Es ist ein Anspruch der Uni Zürich, dass sie genau diesen Dialog gewährleistet. Wo wir Massenfächer haben, versuchen wir das etwa über die begleitenden Tutorien abzudecken.»

Der Software-Mythos

Eine unterstützende Rolle nimmt die Detektionssoftware docoloc ein. Die kommt spätestens dann zum Einsatz, wenn ein Plagiatsverdacht besteht. Hochgeladene Arbeiten werden mit im Internet vorhandenen Seiten abgeglichen. Das Ergebnis ist eine Prozentzahl der Textstellen, die gefunden wurden. Doch die Software ist alles andere als wasserdicht, wenn es um das Erkennen von Plagiaten geht. Passagen, die aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wurden, erkennt sie nicht – genauso wenig wie Paraphrasen. Aus einer fraglichen Arbeit pickt sie zufällig Passagen raus und sucht wie eine Suchmaschine im Internet nach Übereinstimmungen.

Roberto Mazzoni, Leiter des Benutzerdienstes der Informatikdienste, hat für uns die letzte Ausgabe der ZS von docoloc auf Plagiate überprüfen lassen. Das Ergebnis: 64 Prozent werden als Plagiat angezeigt. Im Internet ist jedoch die ganze Ausgabe einzusehen. Hätte die Zahl dann nicht viel höher sein müssen? «Das Ergebnis ist von mehreren Faktoren abhängig. Die Software arbeitet über Google, das heisst, sie ist auf die dortige Indexierung angewiesen. Ausserdem werden nur zufällig ausgewählte Textfragmente aus der Arbeit überprüft», erklärt Mazzoni.

Hildbrand betont, dass man sich nie nur auf die Software verlassen würde. «Sie ist nur ein zusätzliches Werkzeug, dessen Resultat interpretiert werden muss. Sie dient ausschliesslich zur Orientierung.»

Machtlos gegen Ghostwriting

Fast gänzlich machtlos ist die Uni, wenn es um Ghostwriting geht. Die Ghostwriter verfassen eine Arbeit, die nie durch Stilbrüche oder Plagiate auffallen würde. «Das Einzige, was wir tun können, ist, den intellektuellen Fortschritt der Studierenden zu überprüfen», sagt Hildbrand. «Abgesehen davon ist Ghostwriting eine ganz andere Schiene als ein Plagiat. Da steht ein bewusster Akt des Einkaufens und des Eine-andere-Person etwas-für-sich-tun-Lassens dahinter. Ich verurteile das aufs Schärfste.»

Von Nichtbestehen bis Ausschluss

Bei jedem konkreten Plagiatsverdacht wird der Universitätsanwalt eingeschaltet und die nächsten Schritte mit ihm besprochen. Wird ein Plagiat aufgedeckt, variieren die rechtlichen Folgen je nach Ausmass des Falls. «Die geringste Folge ist das Nichtbestehen der Prüfung und die heftigste der Ausschluss vom Studium für sechs Semester», erklärt Hildbrand. Dies kommt aber erst bei schweren Verstössen zum Zug; dann, wenn die Arbeit fast nur aus Plagiaten besteht oder ein Studierender wiederholt plagiiert. Reicht das überhaupt zur Abschreckung? Hildbrand verteidigt sich: «Unsere Vorgehensweise ist angemessen. Die Zielsetzung, dass wir wissenschaftliche Redlichkeit ausbilden und garantieren wollen, erreichen wir so.»

Für Mike ist seine persönliche Plagiatsaffäre noch glimpflich ausgegangen. Der Unianwalt verfasste ein Gutachten, in dem er erklärte, die beiden hätten wirklich nur zusammen gearbeitet. «Auf 20 Seiten! Das wäre auch auf einer Seite gesagt gewesen», lacht Mike. ◊

*Namen der Redaktion bekannt.