L. 1994 vor dem Landgericht Dortmund (rechts). antifaschistische zeitung NRW 5/1994

Vom Neonazi zum Assistenten

Vier Jahre lang lehrte ein Ex-Neonazi an der Uni. Die Verantwortlichen wussten von nichts. Als die Geschichte rauskam, lief sein Vertrag aus.

24. Februar 2011

«(Ehemals?) rechtsradikaler Assistent am Philosophischen(!) Seminar». Per Email schwirren an der Uni Gerüchte umher. Grund für die Aufregung ist die braune Vergangenheit von L.*, der seit 2007 Assistent der Seminarvorsteherin Katia Saporiti war und unter anderem Heidegger lehrte.

Google vergisst nicht

Herbst 2010. L. steht vor einem Scherbenhaufen. Seine akademische Karriere ist kurz vor dem Ende. Seine Kollegen meiden ihn. Studierende sind auf Webseiten antifaschistischer Initiativen auf seine Vergangenheit gestossen. Ins Netz gestellte Antifa-Zeitungen aus den 90er Jahren zerren ins Jetzt, was L. für immer verschweigen wollte.

März 1994. L. steht als 18-Jähriger vor Gericht. Die Anschuldigung wiegt schwer: Bildung einer kriminellen Vereinigung. L. gibt sich gelassen. Mit Lederjacke und Sonnenbrille – dem «klassischen Neonazilook», wie antifaschistische Prozessbeobachter spotten – versucht er seine jugendlichen Züge zu verdecken. Parolen wie «Deutschland uns Deutschen» oder «Drogendealer ins Arbeitslager» hatte L. nicht nur vertreten, sondern auch – zusammen mit verfassungswidrigen Symbolen – an Wände gesprüht. Die Parolen lassen erschaudern, umso mehr in einer Zeit, in der es in Deutschland zu Brandanschlägen und anderen Gewalttaten gegen Migranten kam.

Vieles weist darauf hin, dass L. trotz seines zarten Alters die neue Hoffnung der rechten Szene war. Diese hatte zu dieser Zeit mit einem Mitgliederschwund zu kämpfen. L. betrieb noch während des Prozesses zusammen mit seinen Kameraden die Gründung einer lokalen Sektion der Partei «Deutsche Nationalisten».

Eine öffentliche Gründungsversammlung wurde von der Polizei verhindert. Laut einem Sitzungsprotokoll, das der ZS vorliegt, fand die Gründung des Landesverbands Nordrhein-Westfalen schliesslich in der damaligen Wohnung von L. in Dortmund statt.

Nach einem juristischen Hin und Her wurde L. schliesslich 1999 für das Sprühen der Naziparolen und verfassungswidriger Symbole verurteilt. Da er zur Tatzeit noch minderjährig war, brummten ihm die Richter eine erzieherische Massnahme auf: 100 Sozialstunden. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte L. nicht nachgewiesen werden

«Ich habe mich noch im Jahre 1994 aus der Neonaziszene zurückgezogen», sagt L. heute. Er sei später sogar selber Opfer der Rechten geworden. Seine ehemaligen Kameraden hätten sich an ihm gerächt. Allmählich wächst Gras über die Sache. L. schliesst seinen Magister mit Bestnoten ab und legt eine akademische Karriere hin.

«Von nichts gewusst»

Im November 2011 konfrontieren Angehörige des Mittelbaus L. mit den Gerüchten. Erst jetzt legt er seine Vergangenheit gegenüber seiner Vorgesetzten offen.

«Ich verurteile gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in aller Form», sagt L. und fügt an, dass seine Vergangenheit mit seiner Tätigkeit in der Philosophie nichts zu tun habe. Deshalb habe er sie verschwiegen.

Saporiti ist geschockt. Sie hat mit L. schon während ihrer Zeit in Bielefeld zusammengearbeitet und sogar seine Magisterarbeit betreut. «Ich habe nichts geahnt», sagt Saporiti. Dies obwohl es gereicht hätte, einmal seinen Namen zu googeln. 2007 holte Saporiti L., der sich bei ihr auch als Tutor bewährt hatte, nach Zürich. Hier arbeitete L. an seiner Dissertation und gab verschiedene Seminare. Neben Schopenhauer, Kant und altgriechischem Skeptizismus lehrte er auch Heidegger.

Ex-Neonazi lehrte Heidegger

Laut dem Heidegger-Biografen Anton Fischer hatte das NSDAP-Mitglied Heidegger «der Ideologie des Faschismus ein philosophisches Mäntelchen umgehängt, das naive Leser leicht irreführen kann». Es gebe kaum einen grossen Philosophen, bei dem sich Philosophie und Ideologie so sehr vermischen. Deswegen sei eine kritische Lektüre hier besonders angebracht.

L. betont, dass er Heidegger kritisch lese und in den Seminaren auf heikle Stellen aufmerksam gemacht habe. Tatsächlich sind keine Hinweise bekannt, die dieser Darstellung widersprechen. Im Gegenteil. Teilnehmende von L.s Seminaren zeigten sich überrascht, als sie von der Neonazi-Vergangenheit ihres ehemaligen Dozenten erfuhren. Auch Saporiti ist überzeugt, dass L. die Neonaziszene hinter sich gelassen habe und es an seinen Lehrveranstaltungen in dieser Hinsicht nichts auszusetzen gebe.

«Höchst bedauerlicher Einzelfall»

Nach L.s Eingeständnis seiner Vergangenheit verlängert Saporiti den Vertrag, der Ende 2010 ausläuft, nicht mehr. Ihre Entscheidung begründet sie mit dem gestörten Vertrauensverhältnis. Es hätten aber auch fachliche Gründe wie das schleppende Vorankommen von L.s Dissertation eine Rolle gespielt. Diese betreut Saporiti nun aber weiterhin. Bernd Roeck, Dekan der Philosophischen Fakultät, findet es «höchst bedauerlich», dass während vier Jahren ein ehemaliger Neonazi an seiner Fakultät unterrichtete. «L. hätte seine Vergangenheit offen legen müssen.» Eingestellt hätte ihn Roeck jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach auch dann nicht. «Es gibt so viele interessante junge Leute ohne eine solche Vergangenheit.»

Zusätzliche Abklärungen bei Personalentscheiden findet Roeck, wie auch Saporiti, nicht nötig. Es handle sich um einen krassen Einzellfall. Saporiti scheint nun verhindern zu wollen, dass dieser bekannt wird. Sie hat uns gebeten, auf die Veröffentlichung dieses Artikels zu verzichten. Die Studierendenvertretung wurde zwar an der Seminarversammlung informiert. Die meisten Studierenden bezogen ihr Wissen über den Fall L. aber weiterhin ausschliesslich über kursierende Gerüchte.

Im Moment geht L. rechtlich gegen Darstellungen seiner Vergangenheit im Internet vor. Der «Spiegel» hat mittlerweile Passagen über ihn im Onlinearchiv anonymisiert.

Mitläufer oder Kader?

L. hat eine «Eidesstattliche Versicherung» abgegeben, worin er schreibt, de jure nie Landesvorsitzender der «Deutschen Nationalisten» gewesen zu sein. Er stützt sich dabei auf die Tatsache, dass er zur fraglichen Zeit noch minderjährig gewesen sei. Allerdings: Das Protokoll der Gründungssitzung unterschrieb L. eine Woche nach seinem 18. Geburtstag. L. zweifelt die Echtheit dieses Dokuments an.

Unabhängig von dieser Diskussion: Ein Zurück ans Philosophische Seminar gibt es für L. nicht mehr. Saporiti wird die Stelle neu besetzen. Obwohl sie durch diese Geschichte misstrauischer geworden ist, werde sie die Bewerber nicht vorher googeln. ◊

* Name der Redaktion bekannt.