Guggemuusig "Schränz-Gritte" beim Kinderumzug. Markus Nägele

Duell: Fasnacht

Eine bunte Tradition oder bloss ein guter Grund zum Saufen? Verschiedene Meinungen über Sinn und Unsinn eines alten Brauchs.

Daniela Zimmermann (Dafür) und Eric Franklin (Dagegen)
24. Februar 2011

Dafür

Farbe in den Strassen, schrille Musik, dazu die Legitimation, sich ungehobelt zu kleiden und zu verhalten. Nichts anderes als Fasnacht braucht unser verstocktes Volk! Was gibt es Schöneres, als sich in eine bunte, idyllische Welt voller Prinzessinnen und Piraten reinziehen zu lassen?

Heute ist Fasnacht ein Fest für Kinder und Erwachsene, der christliche Hintergrund ist kaum noch relevant. Volksetymologisch ist der Begriff aus den althochdeutschen Wörtern fasta und naht zusammengesetzt, was soviel bedeutet wie «Nacht vor der Fastenzeit». Der Beginn der Fasnachtszeit am 11. November ist auf die 40-tägige Fastenzeit vor Christi Geburt zurückzuführen. Heute, im 21. Jahrhundert, lässt das Fest die verhaltene Gesellschaft einmal im Jahr die täglichen Schranken durchbrechen. Umhüllt von Guggenmusik – die zu der ganzen Narretei vorzüglich passt – zieht der Fasnächtler durch die Strassen und lässt sich berauschen von extravaganten Kostümen, originellen Schnitzelbänken und Konfettiregen. Fasnacht sprengt die gesellschaftliche Ordnung, schafft eine fiktive Welt, in die sich manch einer gerne eintauchen sieht.

Es gehörte schon immer zu den Bedürfnissen des Menschen, sich auszutoben. Denn bereits im Mittelalter feierten diverse europäische Völker karnevalähnliche Narrenfeste. Das sündhafte Verhalten bis Aschermittwoch duldete sogar die Kirche: Einmal im Jahr konnten sich die Christen austoben, danach galt es, sich wieder dem Glauben zu widmen. Bis ins 19. Jahrhundert zogen Menschenmengen verkleidet durch die Gassen – ganz nach dem Vorbild des Schalknarren Till Eulenspiegel. Obrigkeiten wurden parodiert, Rollen getauscht, und ständische Ordnungen traten für einmal ausser Kraft. Die Luzerner sowie die Basler Fasnacht nehmen heute noch mit ihren Sujets öffentliche Personen ins Kreuzfeuer und parodieren das Weltgeschehen – sehr zum Amüsement der erwachsenen Besucher.

Das traditionsreiche Fest wirkt zudem äusserst befreiend und zusammenhaltstiftend. An der Fasnacht wird selbst der verschlossenste Schweizer kommunikativ. Während er das ganze Jahr durch kaum mit Fremden interagiert, traut er sich unter dem Schutz der Maske plötzlich, ist offen und gesprächig.

Und das kommt zum Frühlingsanfang doch ganz gelegen, wenn sich die Strassen im Duft der Blüten langsam wieder beleben.

Dagegen

Wozu denn Fasnacht? Das Getöse und die Furcht einflössenden Masken sollen die Wintergeister vertreiben. Je lauter und tobender, desto weiter weg fliehen die Geister. Nur den Spiritus Ethanoli holen wir an Bord. Dabei sind doch jegliche Grundlagen für Fasnacht oder Karneval von gestern. Die Furcht vor dem Winter schmilzt dahin wie der Schnee in Zeiten der Klimaerwärmung. Die Fasnachtszeit als riesiges Fest zwischen der vorweihnachtlichen und der vorösterlichen Fastenzeit hat ebenfalls ihre Bedeutung verloren. Denn – wer fastet heute schon noch? Die Ausgelassenheit dieser Festtage nahmen kritische Gesellen in alten Zeiten zum Anlass, die Fürsten und Grafen zu verspotten. Doch die politische Obrigkeit zu verhöhnen, ist heute Alltagsgeschäft aller europäischen Medien, mit Ausnahme der ungarischen.

Wer hat also heute noch Grund, Fasnacht zu feiern? Während wir als Kinder wenigstens noch kreative, von Mami genähte Kostüme trugen, hauen sich die Knirpse von heute lieber beim Nintendo-Wii-Carneval den Controler um die Rübe. Jugendliche verkleiden sich nur alibimässig mit dem drei Jahre alten Mallorca-Strohhut und nutzen die Fasnacht als Saufmekka – ganz im Sinne ihrer Verkleidung. Auch die Erwachsenen meinen in der Fasnacht einen Grund zu finden, mit einem Rudel ach so lustiger Menschen bei enorm kalten Wintertemperaturen Glühwein zu trinken. Man muss sich ja warm halten. Warum genau diese Hardcore-Fasnächtler Gefallen an der musikalisch nicht sehr hochstehenden Guggenmusik finden, ist mir ein Rätsel. Und noch schlimmer sind die, die selbst mitpfeifen! Viel Talent braucht es ja nicht – schon mit einer Metallröhre ist man dabei.

All diese urchigen Umzügler schmieren sich Farben und Glitzerzeug in die Fratze, um möglichst nicht erkannt zu werden, wenn sie an der nächsten Strassenlaterne ihre Kafi Schnaps dem Trottoir präsentieren. Sich zu verkleiden und zu trinken ist heute wohl der einzige Grund, an die Fasnacht zu gehen. Wer das Bedürfnis nach extravaganter Kleidung hat, soll doch mit Trachten ans Sechseläuten oder mit einem knappen Fummel an die Streetparade. Fasnacht als Extraanlass für exzessives Saufen ist in der Spassgesellschaft von heute überflüssig. Dafür ist das Wochenende in Zürich gedacht. Schluss mit Konfettimatsch auf der Strasse! Hört auf mit dem Blechgetöse! Spielt mit den Gotteskriegern der Heilsarmee, die spielt auch nur einmal im Jahr!