Stefanie (vorne rechts) an ihrer ersten Produktionswoche mit der «ZS» Alain Künzler

Viel Arbeit, wenig Zeit!

Schreibtalent und Kritikfähigkeit erwünscht. Unsere neue Reporterin schnuppert Redaktionsluft bei der ZS.

24. November 2010

Die Stimmung ist ambivalent. Ich blicke in müde und erschöpfte Gesichter. Die meisten haben Kopfhörer in den Ohren und schotten sich akustisch ab. Die einen sind erleichtert und zuversichtlich, dass bald alles geschafft ist. Andere verlieren langsam ihren letzten Nerv und sind kaum ansprechbar. Ich sitze in der ZS-Redaktion am letzten Tag einer intensiven Produktionswoche.

Vor drei Wochen hat alles begonnen. In einer fast vierstündigen Sitzung hat die Redaktion mit mir und anderen Freien Mitarbeitenden die nächste Ausgabe besprochen. Danach machten sich alle ans Recherchieren und Schreiben, auf dass die Texte in der Produktionswoche überarbeitet und gelayoutet werden können. Klingt nach geordnetem Ablauf, und eigentlich hat die Woche auch ganz ruhig angefangen.

Kritisieren ist einfach

Es ist Montag. Ich sitze vor einem fremden Laptop und ändere einen Text, den ich nicht selbst geschrieben habe. Durchlesen und anstreichen, was mir nicht gefällt, ist viel einfacher als selbst zu schreiben. Der Auftrag ist klar: «Die Fakten gehören in eine Box und der ganze zweite Abschnitt des Textes interessiert mich nicht», hat mir Corsin Zander, der Chefredaktor der ZS, kurz zuvor gesagt. Ich soll es dem Chef also recht machen. Wie ein Fisch, der ins kalte Wasser geworfen wurde, versuche ich mich zu orientieren.

Es herrscht arbeitsame Atmosphäre im Büro in der altehrwürdigen Villa an der Rämistrasse 62. Corsin flitzt in Socken durch den Raum. Der Layoutchef Patrice «Sigi» Siegrist stiert in den grössten Bildschirm der Redaktion. Neben ihm rauscht undefinierbare Musik aus kleinen Boxen. Die Atmosphäre ist angenehm, und ich fühle mich nicht fehl am Platz. Die Unordnung aus sich stapelnden Zeitungen und Papier erinnert an das Chaos bei mir zuhause.

Ich werde voll in die Arbeit eingebunden. Sigi erteilt mir den nächsten Auftrag. Ich soll einen Artikel kürzen. Das gehört schon weniger zu meinen Stärken, da auch meine Seminararbeiten meist zu lang ausfallen. Ein No-go bei Zeitungsartikeln. «Wir rechnen in Zeichen, nicht Wörtern», bemerkt Corsin schmunzelnd. «Kürzlich hat jemand einen Text mit 5000 Wörtern statt Zeichen eingereicht.» Inzwischen gibt Corsin mit beunruhigenden Geräuschen zu verstehen, dass er gern vermieden hätte, den Text, den er soeben bearbeitet, künstlich zu verlängern, nur damit er layouterisch in die Zeitung passt. Sigi und ich äussern uns lieber nicht dazu und ducken uns hinter unseren Computerbildschirmen.

Ich finde keine Stellen im Text, die ich wegstreichen würde. Mein Blick schweift umher. Die Wände sind dicht beklebt mit Postern, auf denen Mindmaps und vielversprechende Ideen prangen. Auf den vielen Tischen stehen ebenso viele Computer und Notebooks, die nicht alle zu funktionieren scheinen. Das Archiv im hölzernen Wandschrank datiert erste Ausgaben zurück bis in die 20er-Jahre. Die ZS ist 1923 unter dem Namen «Zürcher Student» erstmals erschienen. Von Beginn an engagierten sich hier Studierende, die sich ihre Zukunft im Journalismus wünschen.

Einmal richtig journalistisch tätig zu sein, das wäre auch mein Traum. Deshalb habe ich mich bei der ZS gemeldet. An einer Zeitung mit einer Auflage von 33’000 mitzuarbeiten, ist echt verlockend. Die ZS wird ausschliesslich durch Inserate finanziert, was den Diskussionen zufolge anscheinend nicht immer einfach ist. Auch wenn das Bestehen finanziell nicht gesichert sei, scheint das Team stetig an der Qualität der Zeitung zu feilen. So können sich die Schreiberlinge an Workshops mit renommierten Journalistinnen und Journalisten weiterbilden. Zuletzt veranstaltete die ZS mit Markus Wiegand, Chefredaktor des Schweizer Journalisten, einen ganztägigen Recherchekurs, und zur Blattkritik hat auch schon mal Roger Köppel vorbeigeschaut. Dabei möchten sie in Fussstapfen von Vorgängern treten, die heute bekannt sind. So waren «Tagi»-Reporter Constantion Seibt, Mathias Ninck («Das Magazin») oder Max Frisch auch schon bei der ZS.

Lockere Gespräche und Bier

Vorerst müssen wir uns aber noch ein wenig die Sporen abverdienen. Doch die ZS-Redaktorinnen und -Redaktoren sind nicht verbissen vor Ehrgeiz. Ab 16 Uhr wird Bier statt Kaffee getrunken. Auch wenn die Ernsthaftigkeit beim Arbeiten nicht fehlt, bleibt genug Raum für lockere Gespräche. Diese bieten mir eine willkommene Gelegenheit, eine spannende Story aus den Redaktoren herauszukitzeln. Als Sigi lachend von einem schmutzigen Ereignis mit nackten Frauen beginnt und Corsin daraufhin errötet, bin ich ganz Ohr. Verlegen erzählt er, dass er im Redaktionsgebäude, in dem auch noch andere studentische Vereine ihren Sitz haben, einst auf zwei unbekleidete junge Frauen in Aktion stiess.

Ende der Woche ist es mit der Lockerheit dann definitiv vorbei. Der Redaktionsschluss rückt näher. Am Freitag trudeln fleissige Freie Mitarbeitende ein, um alle Texte nochmals auf Schreibfehler durchzulesen. Kulturredaktorin Daniela hat derweil ihr Waltraud-Kostüm abgelegt. Mit ihren zwei verschiedenfarbenen Socken verbreitet sie positive Stimmung. Corsin, der fast jeden Tag vom Morgen bis zum letzten Tram gearbeitet hat, sieht ausgelaugt aus. Doch um 16 Uhr strahlt er bereits wieder. Er verlässt die Redaktion und geht an ein ZSC-Spiel. Ich bin beinahe erleichtert, dass ihm neben der Zeitung offensichtlich noch Zeit für andere Hobbys bleibt. ◊