Die Sicherheitsdienste an der Uni haben viele Gesichter. Corina Ernst

Die Sheriffs kommen

In überfüllten Jus-Vorlesungen sehen sie nach dem Rechten. Für den ASVZ kontrollieren sie Legis. Sicherheitsdienste machen sich an der Uni breit.

24. November 2010

Die Uni Zürich ist eine Kleinstadt. Sie hat 26’000 (zeitweilige) Einwohner und 6000 Mitarbeiter, Restaurants und eine Bar, ein Verkehrssystem, eine Post, eine Betriebsfeuerwehr – und eine eigene Polizei. Die hat den relativ unkämpferischen Namen SIDI (Abteilung Sicherheit und Umwelt). Ihr Chef, der Uni-Sheriff sozusagen, ist René Zimmermann. Er sieht so aus, wie man sich einen Polizisten vorstellt. Grosser Mann mit Schnauz, 45 Jahre. Zimmermann war auch mal Polizist. Das helfe, wenn er die ehemaligen Kollegen rufen müsse, meint er. «Wir wissen dann, wovon wir sprechen». Zimmermann trägt keine Knarre mit sich, sondern einen Fotoapparat, mit dem er Halunken in flagranti festhalten kann.

Wie in jeder anderen Stadt

«Es ist eine ruhige Stadt», sagt Zimmermann. Halunken gibts trotzdem hin und wieder. «Es geschehen die gleichen Dinge wie in jeder Stadt auch: Es wird geklaut, eingebrochen, und die Wände werden verschmiert», erzählt er. Vor einiger Zeit machte ein Klo-Terrorist den Putzdienst wahnsinnig, weil er die Klosetts mit WC-Papier verstopfte. Als Freundin der Uni-Sheriffs schrieb ihn die ZS natürlich zur Fahndung aus. Zimmermanns Vorgesetzter, Alfred Feichtinger, ist der oberste Chef der ganzen SIDI, welche sich neben der Sicherheit auch um den Gesundheits- und Umweltschutz kümmert. Feichtinger ist noch länger dabei als Zimmermann, «ein halbes Leben», sagt er und lächelt dabei zufrieden. Und der 61-jährige hat noch bessere Highlights auf Lager (siehe Box). Das letzte grössere Ding war ein Mann, der im Irchelpark Studentinnen belästigte. Die SIDI streute ein Fahndungsfoto des mutmasslichen Täters. Ausserdem patrouillieren seither öfter private Sicherheitsleute im Park.

Die Hilfs-Sheriffs

Obwohl René Zimmermann beteuert, sowohl die Ausgaben für Sicherheit als auch die Verbrechensrate hätten in den vergangenen Jahren eher ab- statt zugenommen (genaue Zahlen gibt es keine), haben sich diese Hilfs-Sheriffs in jüngster Zeit auf wundersamer Weise vermehrt. Sie patrouillieren im Park, und bei der Unibesetzung im vergangenen Winter fuhren sie mit Hunden auf. Neuerdings sehen sie unter anderem in den überfüllten Erstsemester-Vorlesungen in der Juristischen Fakultät zum Rechten.

Die Hilfs-Sheriffs werden extern angeheuert. Alfred Feichtinger setzt auf seriöse und gut ausgebildete Kräfte: «Es ist uns dabei wichtig, dass wir seriöse Firmen mit gut ausgebildeten Leuten beschäftigen und nicht irgendwelche Cowboys.» Nicht in die Kategorie der Cowboys fällt offenbar die Securitas. Sie wird an der Uni vor allem für das Abschliessen der Gebäude und die Sicherheit an Events eingesetzt. Nicht etwa zum Bespitzeln von nonkonformen Studierendengruppen, wie «unsereuni». Das sei gemäss Feichtinger nicht nötig: «Wir kennen unsere Pappenheimer, die Querulanten kann man dabei an einer Hand abzählen», sagt er.

Als diese im letzten Jahr an der Besetzung der Uni beteiligt war, galoppierten die Hilfs-Sheriffs dann aber doch gleich zu Dutzenden an die Uni. Feichtinger möchte die Besetzung jedoch nicht überbewerten. Er zeigt sogar Verständnis: «In einem Fünfjahreszyklus versuchen Studierende Dinge zu ändern und machen Aktionen, die einen grösseren Einsatz von Sicherheitspersonal erfordern.»

Während die Securitas in über neunzig Prozent der Fälle für Ruhe und Ordnung sorgt, ruft die Uni-Polizei bei kleineren Veranstaltungen auch andere Firmen zu Hilfe. Bei Vorlesungen der Kinderuni hat beispielsweise eine kleine Firma aus Uster die verantwortungsvolle Aufgabe, dafür zu sorgen, dass keine Eltern den Hörsaal betreten. Dafür sorgen die Männer von Premium Sicherheitsdienste gewissenhaft. Da gibt es manchmal auch Reibungspunkte, doch diese sind für den Chef der Sechs-Mann-Firma, Walter Hirzel, normal: «Auf dieser Welt gibt es leider immer wieder Leute, die sich nicht an die Regeln halten möchten». Solche Halunken mahnen er und seine Männer immer wieder zu Disziplin. Der rechtschaffene Hirzel könnte bei solchen Leuten fuchsteufelswild werden. Daniela*, eine Studentin, die für die Kinderuni arbeitet, beklagt ein unangemessenes Auftreten der Premium-Männer: «Einer von denen hat eine Mutter wie aus dem Nichts laut angeschrien. Der ist doch kein gutes Vorbild für die Kinder!»

Walter Hirzel lassen solche Vorwürfe kalt. Er hört diesen Vorwurf immer wieder und hat – schlagfertig, wie er ist – auch schon die passende Antwort parat: «Schauen Sie: Oft tönt es eben einfach so aus dem Wald, wie hereingerufen wird.» Man wisse ja, wie Mütter seien, wenn es um ihre Kinder geht. Hirzel hat einen vorgegebenen Auftrag, und der lautet: Es dürfen keine Eltern den Hörsaal der Kinderuni betreten. Diesen erfüllt er. Ohne Wenn und Aber.

Affen im ASVZ

Die Zutrittskontrollen wurden auch im Sportcenter der Uni verschärft. Nachdem jahrelang Studis die Legis kontrollierten, setzt der ASVZ nun auch auf Hilfs-Sheriffs. Er nennt sie «Stewards». Die Tage von schläfrigen, mit einem Auge lesenden Studierenden an den Eingängen der ASVZ-Anlagen sind gezählt. Heute kontrollieren Profis in grünen Westen: Die gut ausgebildeten Frauen und Männer der ServX AG. Vorbei sind die legeren Kontrollen. Andrea* ist ein solcher Steward. Sie ist professionell und erfahren: Freundlich, aber bestimmt geht sie auf die sportlichen Studierenden zu und prüft die Legi akribisch auf Namen und Ablaufdatum. Und vor allem das Bild schaut sie sich ganz genau an. So hat sie das bei einer Schulung der ServX gelernt. Genau vergleicht sie das Foto auf der Legi mit Merkmalen im Gesicht. Ihr aufmerksames Auge ist erfahren, sie arbeitet auch bei Grossveranstaltungen im Hallenstadion als Steward.

Ihr neuer Arbeitskollege sieht das ein bisschen anders. Michi kontrollierte schon vor der Zeit der grünen Westen die Legis im ASVZ. Er tat dies jeweils in Winterkappe und Trainerhose. In der einen Hand ein dickes Buch von Nietzsche, in der anderen ein Salami-Sandwich. Doch damit ist es jetzt vorbei. Bei der ServX AG herrschen strenge Vorschriften. Es wird nicht gegessen (auch keine Kaugummis!). Nietzsche geht noch, aber sonst gelernt – etwa mit Kärtchen – wird nicht mehr. Und neben den grünen Westen gibt es auch Frisurvorschriften. Es weht ein anderer Wind durch die Turnhallen des ASVZ. Für die Sicherheitsfirmen gibt es nichts Schlimmeres, als wenn jemand auf dem Hometrainer sitzt, der keine gültige Legi im Sack hat. Den Stewards wurde das schon in der ersten Schulung klargemacht. Die absolute Horrorgeschichte: Längere Zeit habe ein Student den ASVZ mit einer gefälschten Legi besucht – und das mit einem Passfoto, welches einen Affen zeigte.

Auslagerung der Legikontrolle

«Zutrittskontrollen gehören nicht zu den Kernkompetenzen des Akademischen Sportverbands», liess Olaf Frost, Leiter Zentrale Dienste und Mitglied der ASVZ-Geschäftsleitung, per E-Mail verlauten. Mit der ServX solle die Quote der «unbefugten Zutritte» deutlich gesenkt werden, heisst es da in Beamtendeutsch. Dafür nimmt man auch Mehrkosten von 25 Prozent in Kauf. Es sei auch zunehmend schwieriger geworden, Personal zu rekrutieren und professionell auszubilden.

Zum unprofessionellen Personal gehörte die Politologiestudentin Anna*. Ihr gefiel der lockere Umgang mit den Studierenden: «Früher konnte ich mal ein Auge zudrücken, falls ein Mitstudent seine Legi zuhause liegen liess oder einfach vergessen hatte, sie zu validieren.» Doch eine solche Einstellung wird nicht mehr toleriert. Anna hat sich, wie die meisten Anderen aus der Zeit vor den Stewards, einen neuen Job gesucht.

Frost will nicht gelten lassen, dass sich das Klima verändert hat: «Ganz im Gegenteil, die Stewards werden für ihre Freundlichkeit und ihre aktive Präsenz bei der Zutrittskontrolle von den Besuchern gelobt», sagt er. Und auch der Vorzeige-Steward an der Front, Andrea, sieht das so. Kritisch bemerkt sie einzig, dass sich ältere ASVZ-Benutzerinnen und -Benutzer über zu genaue und zu lange dauernde Kontrollen beschwert hätten.

Der Geschäftsführer der ServX AG, die zur Delta Group gehört, will zwar seinen Namen in keiner Zeitung lesen, sagt zu den Kontrollen aber, dass sie nicht häufiger, dafür spürbarer geworden seien: «Über Jahre hinweg wurde früher immer zwischen ungefähr 11 Uhr und 13:30 Uhr kontrolliert. Heute wechseln die Zeiten ständig. Da kann es durchaus sein, dass um 8 Uhr jemand von uns die Legis kontrolliert.»

Generationenwechsel

Niemand soll so schlau sein können und den ASVZ dann besuchen, wenn er nicht kontrolliert wird. Man weiss nie, wann ein Steward den Weg versperrt. Dies hindert Halunken daran, ohne Legi Sport zu treiben, schlägt aber auf das Klima in der Stadt Uni. Eigentlich würde diese Stadt ja auszeichnen, dass sie ein Ort der Freiheit ist. Wenn einer mal die Legi vergisst, müsste er doch nicht gleich aufs Training verzichten müssen. In der Stadt Uni sind die Studierenden doch unter sich, da kann man auch mal ein Auge zudrücken? «Nein!», finden Sheriffs wie Walter Hirzel von den Premium Sicherheitsdiensten: «Regeln sind Regeln, und die müssen eingehalten werden. Dafür sorgen wir», diktiert er. Je mehr Aufgaben Sicherheitsdienste an der Uni übernahmen, desto rauer wurde das Klima.

Erstaunlich locker sehen das die Jüngsten in der Stadt: Erstsemestrigen fällt die Präsenz von Sicherheitsdiensten gar nicht auf. So sagt Kathrin, Jus-Studentin im ersten Semester: «Den Security-Typen habe ich im überfüllten Hörsaal gar nicht bemerkt. Er ist mir erst aufgefallen, als ich in der Zeitung davon gelesen habe.»

Früher wären die Reaktionen wohl anders ausgefallen. Ein Leser des «Tages-Anzeigers» schreibt als Kommentar zur Meldung, dass in Vorlesungen für Erstsemestrige Security-Personal anzutreffen ist: «Die Zeiten ändern sich. Als ich studierte, 1970 bis 1975 in Göttingen und Bremen, da hätte kein einziger Security es gewagt, sich dem Campus auch nur auf 100 Meter zu nähern. Wenn doch, dann hätte es die sofortige Besetzung des Direktorats zur Folge gehabt.» Möge der Frieden in unserer Stadt gewahrt bleiben.

*Namen der Redaktion bekannt.

Die Explosion und der boxende Arzt

Die Abteilung Sicherheit und Umwelt musste gewissen Personen schon ein Hausverbot erteilen. Beispielsweise einem eifersüchtigen Mann, der seine Frau, welche an der Uni arbeitete, wiederholt belästigte. Solche Vorfälle kann man an einer Hand abzählen. Ein Fall ist Alfred Feichtinger, dem Leiter der Abteilung Sicherheit und Umwelt, aber geblieben. Er geschah in seinen ersten Jahren. Er erzählt ihn heute mit einem nostalgischen Lächeln und doch in einer Ernsthaftigkeit:

«Ich kann mich noch sehr gut erinnern: Es gab eine Explosion in einem Labor und ich eilte mit dem Kommandanten der Betriebsfeuerwehr zur Unfallsstelle. Da traf ich auf einen Mann, der mit einem Handtuch versuchte, die offene Wunde eines verletzten Chemiestudenten zu reinigen. Als ich ihn ansprach und mich vorstelle, schaute er mich mit einem leeren Blick an und sagt, er sei hier der behandelnde Arzt. Ich schenkte ihm zuerst Glauben, doch die Art, wie er den Verletzten in Richtung des Sanitätsautos schleppte, stimmte mich skeptisch. Und als der Fahrer der Sanität den sogenannten behandelnden Arzt fragte, was der verletzte Chemiestudent habe, streckte ihn der Arzt mit einem gezielten Faustschlag zu Boden. Ich rannte gleich zum nächsten Telefon und rief die Polizei. Diese reagierte rasch, nahm den vermeintlichen Arzt fest und legte ihn in Handschellen. Die Sanität brachte den Verletzten endlich ins Spital. Der Arzt wurde von der Polizei auch ins Spital gebracht. Da stellte sich heraus, dass der Mann tatsächlich Arzt war. Doch der Doktorand hatte offenbar vollkommen die Kontrolle über sich verloren. Eine Erklärung war, dass einige Wochen zuvor sein Vater verstorben war. Nach diesem harten Arbeitstag rief ich meine Frau an und sagte: ‹Ich muess zerscht no es Zweierli trinke, bevor i hei chume.› Das werde ich nie vergessen.»