Die Laune des Examinators kann entscheidend sein. Marlies Aryani Rüegg

Die Lotterie der Examinatoren

Für die Liz-Prüfungen der Philosophischen Fakultät bestehen kaum Regeln. Ehemalige Studierende werfen dem System Willkür vor.

24. November 2010

Andreas* hat soeben die mündlichen Lizenziatsprüfungen in Allgemeiner Geschichte absolviert. Statt Erleichterung steht ihm Zornesröte ins Gesicht geschrieben. Andreas beherrschte den Stoff souverän – trotzdem gab ihm der Professor bloss eine Vier.

Der einzige Fehler von Andreas: Er hatte ein Buch, das nicht einmal auf der Literaturliste war, nur als Zusammenfassung gelesen. Darauf stürzte sich der Professor. «Als Sie die Hauptthese des Buches nicht wussten, verspürte ich grosse Lust, die Prüfung an Ort und Stelle abzubrechen», gibt ihn Andreas wieder. Da er das zweite Prüfungsthema aber ganz ordentlich im Griff hatte, zeigte sich der Professor «gnädig» und liess Andreas nicht durchfallen.

Unbestimmte Prüfungsreglemente

Die Resultate der Lizenziatsprüfungen haben nach der Prüfungsordnung der Philosophischen Fakultät 2001 grosses Gewicht. Sie werden eins zu eins ins Abschluss-Zeugnis übertragen. Die Prüfungen setzen sich aus einem vierstündigen schriftlichen Aufsatz im Hauptfach, einer dreitägigen Hausarbeit im ersten Nebenfach sowie mündlichen Prüfungen in allen Fächern zusammen. Wie die Examinatoren die Prüfungen inhaltlich ausgestalten, ist im besten Fall Verhandlungssache, im schlechtesten Fall allein Sache des Prüfers.

In der Frage, was Prüfungsthemen sind, wie umfangreich diese ausfallen, ob prüfungsrelevante Literatur vorgängig zu vereinbaren ist, herrscht Wildwuchs. Die Prüfungsreglemente enthalten sich klarer Vorgaben. Um die formale Richtigkeit des Prüfungsablaufs zu garantieren, ist ein Beisitzender zugegen. Der schaute im Fall von Andreas einfach zu.

Vorsorge ist besser als Nachsorge

Um der Willkür der Prüfenden nicht vollständig ausgesetzt zu sein, sollten die Studierenden ihre Lizenziatsprüfungen bereits während dem Studium aufgleisen. «Ich habe Kommilitonen, die schon abgeschlossen hatten, über ihre Prüfungserfahrungen ausgefragt», sagt Matthias*, der die Liz-Prüfungen erfolgreich abschloss.

Entscheidend sind die Launen und Eigenheiten der Dozierenden. «Es gibt eine Reihe von Examinatoren, die es zu meiden gilt. Bei einigen sagt die Benotung mehr über die Laune des Examinators als über die Leistung der Studierenden aus», meint Matthias.

Bei Professoren steigt die Note, je kürzer die eigenen Ausführungen dauern respektive je häufiger die professoralen Ausführungen mit einem Kopfnicken bejaht werden. Bei anderen Prüfern soll es sich gerade umgekehrt verhalten: Wer es schafft, die Eingangsfrage mit einem halbstündigen Monolog zu beantworten, ist auf der sicheren Seite.

Andreas hat sich inzwischen wieder beruhigt, das Lizenziat hat er trotzdem bestanden. Seine Nachfolger werden es leichter haben. Aufs Herbstsemester 2015 wird mit dem Lizenziatsstudiengang auch die Liz-Prüfungsordnung abgeschafft. ◊

*Namen der Redaktion bekannt.