In amerikanischen Ärzteserien lindern nicht mehr die Religion, sondern Medikamente den Schmerz. Philip Schaufelberger

Vicodin fürs Volk

In Dr. House wird der «Halbgott in Weiss» zum hinkenden Zyniker. Eine Therapie gegen den Schrecken unserer eigenen Sterblichkeit.

20. Oktober 2010

Amerikanisches Fernsehen, scheint es, ist sehr besorgt um den Tod. Fernsehserien untersuchen unsere Sterblichkeit wöchentlich, auf Autopsie- und Operationstischen, mit fiktiv-obsessiver Forensik (CSI) oder pathologisch-pathetischer Chirurgie (Grey’s Anatomy).

Dr. House, eine der erfolgreichsten Produktionen der Nullerjahre von Fox, bringt medical drama und crime TV in einem zusammen. Die Hauptfigur, ein gezielt unfreundlicher, aber brillianter Arzt, der am Stock geht, basiert laut den Machern auf Sherlock Holmes, dem britischen Romandetekiv. Holmes/House haben dabei beide einen sidekick (Watson/Wilson) und ein Drogenproblem (Kokain/Vicodin*), vor allem aber ist es die deduktive Arbeitsweise, welche die Figuren verbindet. In Dr. House wird der Arzt zum diagnostischen Detektiv und die Krankheit zum Delinquenten.

40 Minuten gegen den Tod

Ob Medizin oder Kriminalistik, der Opponent ist letztlich derselbe, wenn auch die Arbeitszeit (prämortal/post mortem) eine andere. Dass sich Fernsehserien oft um den Tod drehen, um seine Vermeidung oder seine Vergeltung, kann mit der dem Sterben eigenen Dramatik erklärt werden, oder der Behaglichkeit der programmgetreuen Problembewältigung. Während jede Folge CSI zwei Fälle löst und damit eine Art instant closure bietet, rettet auch Dr. House meist innert gut 40 Minuten jemanden vor dem Tod.

Doch der Tod ist ein Serientäter; eine Tatsache, der das Medium Fernsehen Rechnung zu tragen weiss. Fernseh­serien haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und können dabei auch als kulturelles Symptom gelesen werden. Die fast etwas pathologisch anmutende Repetitivität der Seriennarrative jedenfalls zeigt eine grosse Besorgnis und Faszination über unsere Sterblichkeit, die durch das Lösen der Fälle, ob Mord oder Krankheit, immer nur vorläufig beruhigt werden.

Tröstliche Nahtoderfahrung

Doch worin liegt der Trost der Nahtoderfahrung beim Fernsehen? Im Fall von Dr. House ist es vor allem die – wenn nicht menschliche, so doch medizinische – Unfehlbarkeit des Arztes. Für ihn bedeutet Medizin das systematische Lösen von Rätseln, in denen Symptome Anhaltspunkte und Menschen Störfaktoren im wissenschaftlichen Spiel sind. Obwohl die Patienten manchmal trotz der medizinischen Deduktion sterben, so darf doch auf die wissenschaftliche Lauterkeit der Methode vertraut werden. Denn auch wenn die Krankheit nicht immer heilbar ist – und der Tod ohnehin nicht –, so ist doch das Problem, in der medizinischen Logik der Sendung, lösbar.

Das Beharren auf der Wissenschaftlichkeit der Methode ist typisch für die Medien der Gegenwart. Seien es Forensiker (CSI), Profiler (Criminal Minds) oder Knochenspezialisten (Bones), seinen es Chirurgen (Grey’s Anatomy) oder Diagnostiker (Dr. House): Im Umgang mit der Ungewissheit des Todes will man sich auf die absolute Sicherheit der Wissenschaft verlassen können.

Medizin statt Religion

Aufgrund der ethnisch-religiösen Diversität seiner Zuschauer ist das amerikanische Fernsehen ein entschieden säkulares Medium. Das bedeutet auch, dass der Schrecken des Todes nicht mit Jenseitsmodellen gemildert werden kann. Offenbar haben die Fernsehserien der Gegenwart, und so auch Dr. House, in der kompromisslosen Wissenschaftlichkeit einen konsensfähigen Umgang mit den offenen Fragen des Todes gefunden.

Dabei verwundert es wenig, dass die meisten dieser Fernsehserien, insbesondere Dr. House, auf eine integere, wissenschaftlich unfehlbare (und männliche) Hauptfigur bauen. Der hinkende, unfreundliche, aber medizinisch nahezu allwissende Arzt, der Vernunft über Mitgefühl propagiert, ersetzt so den sprichwörtlichen «Halbgott im Weiss» und wird zu einer quasi-religiösen Ersatzautorität im Umgang mit dem Schrecken der Sterblichkeit.

An Stelle von religiösen Narrativen von Behütung und Vergeltung präsentiert das Fernsehen also Geschichten von radikaler medizinischer Fürsorge (wie in Dr. House, aber auch Grey’s Anatomy) und unnachgiebiger und vor allem wissenschaftlich unfehlbarer juristischer Verfolgung im Unrechtsfall (wie in CSI). Beides ist in dieser Form schon rein finanziell äusserst unrealistisch. Dr. House bietet also nicht nur eine Kombination von detektivischer Analytik und medizinischem Melodrama. Mit der ungeteilten Aufmerksamkeit eines ganzen Teams von hochqualifizierten Ärzten beteuert die Serie auch eine medizinische Behandlung, deren Unwirklichkeit nicht nur im amerikanischen Gesundheitssystem ausser Frage steht, aber in dieser Form dem Wunsch des Zuschauers entsprechen dürfte.

Ein Schmerzmittel gegen den Tod

Doch weder die fragliche Finanzierung des fiktiven Krankenhauses noch die unwahrscheinliche Häufung von dramatischen und komplexen diagnostischen Fällen in ebendiesem tun der Überzeugungskraft der Serie Abbruch. Denn neben grossartigem Wortwitz (nicht zuletzt: House wird brilliant gespielt von Hugh Laurie) und sozialem Scharfsinn sagt uns House vor allem auch das, was wir alle hören wollen. Die Serie weist dem Tod den Platz zu, den wir ihm alle gerne zusprechen möchten: ein medizinischer Sonderfall, und ein grundsätzlich lösbares Problem. Die Serie ist damit auch ein narratives Schmerzmittel für den Zuschauer gegen den Schrecken der eigenen Sterblichkeit.

*Vicodin: Ein Opioid, von dem House aufgrund chronischer Schmerzen abhängig ist.

Dieser Text ist eine Nebenwirkung der Lizentiatsarbeit seiner Verfasserin (Thema: Tod in Amerikanischen Fernsehserien).