Sind sie wirklich «Halbgötter in Weiss»? Chöying Darpoling

Medizinstudierende von heute

Sie sind von reichen Eltern, elitär und haben Götterkomplexe. Wir sind den Klischees der Mediziner nachgegangen.

20. Oktober 2010

Über keine anderen Studierenden kursieren so viele Vorurteile wie über diejenigen der Medizin. Sie stammen alle aus reichem Elternhaus und haben einen Götterkomplex. So weit, so unspektakulär. Doch was ist da dran?

Die Nachforschungen der ZS auf dem Gebiet der Vorurteile und üblen Nachreden beginnen an der Uni Irchel. Martina und Bruno studieren beide im dritten Jahr Medizin. Die erste Frage soll direkt ins Schwarze treffen: Wie sieht es denn mit einem Nebenjob aus? Viele Medizinstudierende, die nebenbei arbeiten, kenne sie nicht, meint Martina. Peng! 1:0 fürs Klischee.

Das liegt bestimmt an den reichen Eltern! «Nein, keine Zeit», lautet ihre knappe Antwort, und Bruno ergänzt: «Ich bin schon froh, wenn ich wenigstens ein bisschen Zeit für mich und meine Freunde habe. Klar leidet das Portemonnaie darunter», meint er weiter; allzu viel könne er sich momentan nicht leisten. Also keinen Arzt als Vater? «Nein.» Martina lacht: «Mein Vater ist Arzt», meint sie schmunzelnd. «Ich weiss, wie das auf viele Leute wirkt. Vater Arzt, Tochter Medizinstudentin, viel Geld von zu Hause.» Und wie geht man damit um? «Ich kanns ja nicht ändern», sagt sie dazu. Trotzdem: 2:0 für die Vorurteile. Und zuletzt: Weshalb studieren sie Medizin? Bruno aus Interesse, er wollte schon als Junge Arzt werden. Martina möchte in erster Linie den Menschen helfen. Sie könne sich gut vorstellen, beispielsweise für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. 2:1.

Studium und Arbeit lassen sich durchaus miteinander vereinbaren. Das zeigt Marion, Medizinstudentin im fünften Jahr. Ab dem dritten Studienjahr begann sie während des Semesters regel­mässig Geld zu verdienen. «Ich wollte nicht zu Hause wohnen bleiben, bloss weil ich kein Geld hatte. Deshalb bin ich arbeiten gegangen», begründet sie ihren Nebenjob. Studium und nebenbei ein 30-Prozent-Job – das klingt stressig. Das klingt nach sozialer Abschottung. «Alles Planungssache», meint sie und sagt weiter, dass eigentlich alle ihre Studienfreunde nebenbei arbeiten würden. Das Bild von den Goldküstenmedizinstudenten fängt langsam an zu bröckeln. 2:2.

Die Arbeit neben dem Studium sei ein Vorteil, denn wo könne man besser an den eigenen kommunikativen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten arbeiten als in einem Job? Marion sagt dazu zusammenfassend: «Ich kenne genug Leute, die Medizin aus Idealismus studieren.» Also ist doch nicht jeder nur hinter dem lieben Geld her. Das Klischeebild beginnt Risse zu bekommen. Und was hält sie vom ‹Halbgötter in Weiss›? «Dank dem Internet ist der Arzt schon lange nicht mehr die unantastbare, allwissende Respektsperson.» Entthronung durch den universellen Wissensaustausch, Atheismus im Wartezimmer sozusagen.

Warum sie eigentlich mit Medizin angefangen habe? «Ich will anderen Leuten Gutes tun, aber für mich selber erhoffe ich, das Leben und seinen Sinn und seine Eigenarten ein bisschen besser verstehen zu lernen.» Und das klingt überhaupt nicht nach einer dahergeschwafelten Phrase: 2:3 gegen das Klischee und für die Medizinstudierenden. Zumindest für die meisten. ◊