Auguste Forel: Lange wurde seine Schattenseite ignoriert. Marlies Aryani Rüegg

Eine Bronzebüste auf Abenteuern

Sie erhitzte einst Studierendengemüter. Die Büste von Auguste Forel, Freund von Ameisenkriegen und Menschenkastration.

20. Oktober 2010

Mitte der 80er-Jahre machte ein Universitätsangestellter auf dem Flohmarkt am Bürkliplatz einen interessanten Fund: Die Büste des ehemaligen Leiters der Psychiatrischen Klinik der Universität Zürich, Auguste Forel. Sie war ein paar Tage zuvor aus dem Zentralgebäude gestohlen worden. Von wem, ist Maximilian Jäger, Delegierter von Rektor Fischer, bis heute nicht klar. Wütend schaltete er damals ein «Vermissten-Inserat» mit Foto in der NZZ. Zurück an ihrem angestammten Platz, geriet die Büste schon bald wieder in Vergessenheit.

Bis 2005. Damals hatte das Thema Eugenik und Zwangssterilisierung Hochkonjunktur. Auslöser war Willi Wottrengs 1999 erschienenes Buch «Hirnriss», in welchem der NZZ-Journalist die Zwangssterilisierungen im Burghölzli unter Forel ans Licht brachte. Das Parlament diskutierte ein Gesetz zur Entschädigung der Opfer von Zwangssterilisationen und -kastrationen. Und einige Studierende wollten die Büste von Auguste Forel aus der Uni verbannen.

Kontroverses Erbe

Die Öffentlichkeit ignorierte die Schattenseite von Forels Werk lange. Bis in die 90er-Jahre wurde sein positives Schaffen ins Licht gerückt: Pazifismus, Gleichberechtigungsideen, Einsatz für die Frauenrechte. Ab 1978 prangte sein Gesicht gar sechs Jahre lang auf dem höchst dotierten Geldschein der Welt: der Schweizer Tausendernote. Auch die Uni geizte nicht mit Lob für den Psychiater. 1985 veranstaltete sie eine Ausstellung zu Auguste Forel. Der damalige Rektor Konrad Akert bezeichnete den Wissenschaftler als «grossen Schweizer Gelehrten und Menschenfreund».

Meister der Ameisen

Doch unter Forels Direktion im Burghölzli wurden rund 50 Zwangssterilisierungen vorgenommen. Der Psychiater, der in seiner Kindheit gerne Ameisenarmeen zu blutigen Massakern antreten liess, wirkte sogar noch darüber hinaus: Laut einer Studie des Sozialdepartements Zürich wurden aufgrund seines Gedankenguts zwischen 1892 und 1970 schweizweit tausende von Frauen und Männern unfruchtbar gemacht. Forel wollte die Wissenschaft «nützlich» machen und die «geistigen und körperlichen Schmarotzer der Gesellschaft, die den arbeitsamen Menschen der Gesellschaft zur Last fallen», ausmerzen. Um das studentische Begehren von 2005 zu diskutieren, veranstaltete die Hochschule ein Kolloquium zu Auguste Forel und beauftragte eine Ethikkommission damit, zu beratschlagen, wie mit der eugenischen Vergangenheit umzugehen sei. Die Lösung: Weiterdiskutieren.

Die Büste sollte ins historische Museum Zürich übersiedelt werden. Doch da ist sie bis heute nicht angekommen. Ist sie erneut spurlos verschwunden? «Nein», weiss Thomas Tschümperlin, stellvertretender Delegierter von Rektor Fischer: «Die Büste befindet sich in der Kunstsammlung des Kanton Zürichs.» Man wolle sie baldmöglichst im Museum ausstellen. Der einzige Grund für die Verzögerung sei mangelndes Interesse. «Die Büste ist heute den meisten ziemlich gleichgültig.» ◊