Daniel Mühlemann zeigt einer angehenden Chiropraktikerin Handgriffe. Daniela Bär

Alternative zur klassichen Medizin

Bis Medizin-Studis praktizierende Ärzte werden, sind sie schon fast wieder pensioniert. Dass es auch anders geht, zeigt der jüngste Studiengang der Medizin.

20. Oktober 2010

Laura blickt mit Sorge in die Zukunft. Die Humanmedizin-Studentin ist soeben böse erwacht. Sie absolviert ihr neuntes Semester mit einem Praktikum im Krankenhaus – und ist vom stressigen Alltag ausserhalb der Fakultät überrascht. Das Zwischenjahr ist für künftige Ärzte obligatorisch, darauf folgen noch die Master- und die eidgenössischen Prüfungen. Doch was dann? «Über die Zeit nach dem Studium habe ich mir bis vor kurzem keine Gedanken gemacht», sagt Laura.

Das übliche Curriculum eines Medizin-Absolventen sieht nach dem Uni-Abschluss eine sechsjährige Assistenz-Anstellung vor. Erst wer dann den eidgenössischen Facharzttitel erlangt, darf eigenverantwortlich in einem Krankenhaus praktizieren oder eine eigene Praxis eröffnen. Aber Karriere und Familie lassen sich bei diesem Mammut-Programm nur schwer unter einen Hut bringen. Für Frauen, die trotz Kinderwunsch Medizin studieren möchten, bieten sich die Ausbildungen zur Tier- oder Zahnärztin an: Dort ist bereits nach dem Staatsexamen das Eröffnen einer Praxis erlaubt. Ausserdem ist es leichter als in der Humanmedizin, nur Teilzeit zu arbeiten.

Zu wenig Chiropraktikerinnen

Eine weitere medizinische Alternative bietet der seit 2008 angebotene Studiengang der Chiropraktik. Auf drei Jahrgänge aufgeteilt, studieren aktuell 31 Studierende Chiropraktik, eine Heilmethode, die erst 1939 vom Zürcher Stimmvolk für legal befunden wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts war in Europa noch geächtet und verfolgt worden, wer die aus den USA stammende Technik anwendete. Chiropraktik ist zur anerkannten Alternative und Erweiterung der herkömmlichen Behandlungsmethoden avanciert. «Wir werden heute nicht mehr belächelt», sagt Daniel Mühlemann, Studien-Koordinator der Chiropraktik, der sich während Jahren für den schweizweit ersten Chiropraktik-Studiengang in Zürich einsetzte.

Laut Mühlemann braucht die Schweiz mehr Chiropraktoren. Ein Problem beim Erreichen dieses Zieles sind Studentinnen, die wie Laura ticken: «Unsere weiblichen Studierenden sind ebenso motiviert und talentiert wie ihre männlichen Kommilitonen, doch sind von letzteren nach abgeschlossener Ausbildung erfahrungsgemäss deutlich mehr in der Arbeitswelt anzutreffen.» Auf zehn ausgebildete Chiropraktorinnen kämen nur sieben Vollzeitarbeitende. Bei den Männern arbeiten nach abgeschlossener Ausbildung beinahe alle weiter.

Um mehr Studierende anzulocken, ist die Ausbildung attraktiv gestaltet: Kleine Lerngruppen und eine familiäre Atmosphäre. «Der Professor Kim Humphreys und ich kennen alle Studierenden persönlich», betont Mühlemann. Insbesondere ist es für Frauen mit Kinderwunsch praktisch, dass die obligatorische Weiterbildungsdauer nach abgeschlossenem Studium nur zwei Jahre beträgt. Doch die Entscheidung für die spezifische medizinische Fachrichtung wird bereits früh im Studium getroffen. Für Laura ist es nun zu spät, ihr Curriculum scheint vorgezeichnet. Die Hoffnung aber bleibt: «Ich hoffe auf eine der wenigen Teilzeitstellen für Humanmediziner, die gibts selbst für die Zeit als Assistent.» ◊

Links

Die offizielle Website der Schweizerischen Chiropraktoren-Gesellschaft SCG.