Manuel Zürcher hat sich für die Ausgrabungen fast den Rücken ruiniert. Tobias Baldauf

Spurensuche im Parkhaus

Neun Monate haben die Archäologen für die Rettungsgrabung vor dem Opernhaus Zeit. Unser Reporter gräbt mit.

23. September 2010

Mein Arbeitsplatz ist dreckig. Saubere Kleider besitze ich fast keine mehr, denn auch in meine Wohnung hat sich der Dreck schon ausgebreitet. Die Seekreideschicht ist besonders hartnäckig.

Seit vier Monaten arbeite ich auf der Ausgrabungsstätte des zukünftigen Parkhauses Opéra. Wo ab 2012 bis zu 299 Autos stehen werden, befanden sich vor tausenden von Jahren mindestens fünf steinzeitliche Dörfer. Vieles aus der damaligen Zeit ist noch erhalten.

Ein weinender Spanier

Jeden Tag klettere ich frühmorgens um sieben zusammen mit den 29 anderen Ausgräberinnen und Ausgräbern den staubigen Treppenschacht hinunter, vier Meter in die Tiefe. Da das Betondach des Parkhauses bereits eingezogen wurde, arbeiten wir im Dunkeln. Es ist eine fremde Welt.

Für die Untersuchung dieser Welt hat der Stadtrat einen Sonderkredit von sechs Millionen Franken veranschlagt. Für die Aufarbeitung der ganzen Kam­pagne werden voraussichtlich aber weitere sechs Millionen Franken benötigt.

Im künftigen Parkhaus knien Menschen – mit orangen Helmen auf dem Kopf – im Dreck und legen sorgfältig Schicht für Schicht frei. Ein Bobcat fährt die ganze Zeit hin und her. Er schafft unseren Aushub beiseite und macht dabei einen Heidenlärm.

Die Bobcatfahrer sind Angestellte der Baufirma Implenia. Wir verstehen uns gut mit ihnen. Vor drei Wochen ging Manolo, ein kleiner, fröhlicher Spanier, in Pension. Wir haben ihn in der Znünipause verabschiedet. Er war zu Tränen gerührt. Vor einam anderen Bobcatfahrer dagegen hatte ich in den ersten Wochen etwas Respekt. Ein durchgeknallter Typ, der im Affenzahn mit seinem Gefährt durch die Gegend prescht. Inzwischen bin ich mir aber ziemlich sicher, dass er sein Fahrzeug absolut im Griff hat und auch umsichtig ist.

Keramik und Mühlsteine

Von den Ausgrabungsarbeiten sieht man auf den ersten Blick nicht allzu viel. Wir graben in vier Teams auf jeweils einem Feld. Jedes Team besteht aus einem Teamchef, einem Zeichner, einem Zuständigen für die Pfähle und liegenden Hölzer – das bin ich – und einigen Ausgräbern. Das Erlernen dieses Handwerks war meine hauptsächliche Motivation, mich für eine 100-Prozent-Stelle bei dieser Grabung zu bewerben.

Dank dem Sauerstoffmangels im Seeufersediment blieben sehr viele Pfähle der steinzeitlichen Siedlungen erhalten und sind durch die Wissenschaft der Dendrochronologie – die Jahrringdatierung – teilweise aufs Jahr genau datierbar.

Dadurch können wir die Bäume mit gleichem Schlagdatum einem Hausgrundriss zuordnen und somit die zeitliche Abfolge der Häuser und Dörfer auf unserem Areal rekonstruieren. Neben den vielen Pfählen – bisher sind über 10’000 Stück ausgegraben worden – finden wir haufenweise Steinbeile, Silexklingen, Keramikfragmente, Mühlsteine und Tierknochen. Inzwischen hat sich eine gewisse Routine eingestellt.

Vermisster Schädel

Freuen würde mich der Fund des menschlichen Schädels, den wir noch vermissen. Ganz zu Beginn des Projekts, als wir erst auf einem Feld gegraben haben, fand ich nämlich ein menschliches Skelett. Ich war mit der Schaufel am Hantieren und stiess auf etwas Hartes. Ich dachte zuerst an einen Stein, von denen es hier viele hat. Als ich merkte, dass es sich um Knochen handelt, hielt sich die Aufregung noch immer in Grenzen. Tierknochen finden wir fast jeden Tag. Ich legte die Knochen fein frei, worauf die Chefin eines anderen Teams sie als menschliche Hüfte und Oberschenkel bestimmte. Daraufhin begann die Suche nach dem Schädel, der aber bis heute nicht aufgetaucht ist. Solche Geschichten können mich auch jetzt noch fesseln, besonders wenn man bedenkt, dass das Skelett einiges älter als 5000 Jahre sein muss. Die Grabungsarbeit ist Schwerstarbeit – eine Woche Grobgrabung mit Schaufel und Spaten spart einige Gänge zum ASVZ.

Vom Mühlstein lahm gelegt

Dass man sich auch übernehmen kann, musste ich vor vier Wochen schmerzlich feststellen. Kurz vor Feierabend wollte ich noch einen circa 20 Kilo schweren Mühlstein hinauf ins Fundlabor tragen. Ich bückte mich, hob das Ding hoch und sackte nach einem plötzlichen Stich im Kreuz in die Knie. Zehn Minuten lang konnte ich nicht mehr aufstehen.

Mit der Hilfe von Kollegen mühte ich mich an einem Schaufelstiel wieder auf die Beine und stieg unter Schmerzen die Treppe ans Tageslicht empor. Die Nacht war schmerzvoll. Auch der Morgen danach. Eine Viertelstunde brauchte ich, um überhaupt irgendwie aus dem Bett zu kommen. Ich schleppte mich zum Arzt, der mir eine Spritze verpasste und Schmerzmittel verschrieb. Nach vier Tagen konnte ich wieder zur Arbeit.

Noch die nächsten fünf Monate werde ich täglich in die Tiefe klettern. Neben der eigentlichen archäologischen Arbeit motiviert es mich, dass auf der Grabung Leute aus allen Landesteilen der Schweiz, aus sieben weiteren Nationen und aus den verschiedensten Verhältnissen ein Ziel verfolgen: das Leben der Menschen von damals zu erforschen, ihre Kultur- und Handelsvernetzungen kennen zu lernen, zu sehen, wie sie auf klimatische Wechsel reagierten, um vielleicht auch heutige Veränderungen besser verstehen zu können. Den Dreck in der Wohnung ist das wert. ◊