Immer mehr Professoren und Professorinnen kehren der Universität Zürich den Rücken. Samuel Nussbaum

Exodus der Professoren

Einst hiess es: «Von Zürich geht man nicht weg!» Das hat sich grundlegend verändert. In den letzten fünf Jahren verlor die Uni Zürich über 150 Profs.

23. September 2010

Geschichtswissenschaftler Simon Teuscher gehört am Historischen Seminar zu den renommiertesten Professoren. Nun kursieren Gerüchte, dass er die Uni Zürich in Richtung Wien verlassen möchte. Damit würde er sich in die Reihe von Adrian Vatter, Beate Kellner oder Philip Ursprung einreihen, welche alle im vergangenen Jahr der Uni Zürich den Rücken zugekehrt haben. In den letzten fünf Jahren haben 53 Professoren und Professoren der Philosophischen Fakultät die Uni auf Kosten einer anderen Hochschule verlassen. Dies entspricht knapp 70 Prozent aller Professoren und Professorinnen, die einen Ruf erhalten haben. Spielen bei dieser Abwanderung der Philosophischen Fakultät die Forschungsumstände der Uni Zürich oder eher private Angelegenheiten eine Rolle?

Dass Dozierende Angebote anderer Unis erhalten, ist ein gutes Zeichen für die Uni Zürich. Wenn sie diese dann aber verlassen, weniger. Bei der Uni herrscht aber keine Panik. Der Prorektor der Philosophischen Fakultät, Otfried Jarren, bekräftigt, dass es neben beruflichen Aspekten für die Abgänge auch private Gründe gäbe. Dies bestätigt auch Dekan Bernd Roeck und fügt an: «Die Uni Zürich hat insgesamt wenige Abgänge.» Ausserdem gehöre sie zur Gruppe der forschungsstärksten Universitäten Europas, da sei es auch nicht schwierig, gute Professorinnen und Professoren anzulocken. «Ein Beispiel unter vielen ist der Politikwissenschafter Hanspeter Kriesi», beteuert Roeck. Doch auch er hat erkannt: «Vor zehn Jahren hiess es noch: Von Zürich geht man nicht weg. Dies hat sich verändert. Die Schweizer Unis passen sich den restlichen akademischen Welten an.» So seien Wechsel an andere Hochschulen heute keine Seltenheit mehr.

Partnerschaft statt Prostitution

Auch in Bezug auf die Finanzierung von Forschungsgeldern ist es an der Uni wie vielerorts: Wer viele Drittmittel beschafft, gilt als wissenschaftlich erfolgreich. Was bedeutet, dass die Qualität der Forschung vermehrt am Erfolg in der Drittmittelbeschaffung gemessen wird.

Soziologie- und Publizistikprofessor Kurt Imhof, der im vergangenen Mai ebenfalls über einen Wechsel nachdachte, brachte es auf den Punkt: «Sanfte Prostitution» nannte er seine Arbeitsweise bei der Drittmittelbeschaffung. Die Worte blieben hängen. Kritiker fühlten sich bestätigt, andere brüskiert. «Seine Aussagen waren, salopp gesagt ‹dumm› – das habe ich ihm auch schon persönlich mitgeteilt», sagt Jarren, selbst Kommunika­tionswissenschaftler und Kollege Imhofs. Dass Medienexperte Imhof unüberlegte Aussagen macht, ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Doch Jarren weiss, wovon er spricht. Sein Lebenslauf präsentiert eine lange Liste an Publikationen und Projekten präsentiert. Seit er in der Schweiz arbeite, seien fast alle Projekte durch die UZH, Beiträge des Schweizerischen Nationalfonds oder andere öffentliche Drittmittel finanziert worden. Er habe sich daher nie «prostituieren müssen», sagt er. Forschung müsse autonom und unabhängig sein. Die Forschungsfreiheit, die «unique selling proposition» der Universitäten, werde von der universitären Drittmittelkontrolle streng kontrolliert. Jedes Projekt wird vom Rechtsdienst der Uni geprüft, für jedes muss der Prorektor seine Unterschrift daruntersetzen. So wird die Forschungsfreiheit strikt überwacht.

Drittmittel in Ordnung

Von Prostitution will auch Dekan Roeck nichts wissen. Auftragsforschung sei vor allem ein Problem der naturwissenschaftlichen Fakultäten. Das könne kein Grund für die Abgänge der Professoren und Professorinnen sein. Wohl wahr. Ein Beispiel dafür sind die zahlreichen Stiftungsprofessuren der Pharmaindustrie an der Universität Basel. An der Philosophischen Fakultät in Zürich aber herrsche Partnerschaft, nicht Prostitution. Man hüte sich vor jeglicher Einflussnahme von aussen. Es wirkt so, als sei die ganze Diskussion um die schleichende Privatisierung der Forschung nur ein Ammenmärchen. Demzufolge scheinen die Forschungsumstände an der Philosophischen Fakultät keine bedeutende Rolle für die Professorenabwanderung zu spielen. Roeck fügt ausserdem hinzu, dass Geistes- und Sozialwissenschaftler in den meisten Fällen nicht um Drittmittel, sondern um Zeit verhandeln würden. Dass diese auf Grund der Überbelastung durch die Bologna-Reform knapp ist, sieht auch der Dekan ein. «Aber hier ist es nicht anders als anderswo.»

Die Uni ist sich zu sicher

Drittmittel beschaffen sich die meisten Dozierenden aus dem Schweizer Nationalfonds oder von privaten Stiftungen. Auch die Universität verfügt über Mittel, um die Forschung zu unterstützen, wobei die Universitätsleitung und die Fakultäten über das Geld bestimmen. Die Verteilung muss anschliessend durch den Universitätsrat genehmigt werden. Über dessen wirtschaftsnahe und bürgerliche Ausrichtung weiss seit den Protestak­tionen an der Uni jeder Bescheid. Ist das ein Problem? «Nein», beteuern sowohl Jarren als auch Roeck. Dass aber die Naturwissenschaften mehr gefördert würden als die Sozialwissenschaften, dem stimmt der Dekan zu. Und er ergänzt: «Forschung braucht Freiheit und Zeit. Hier könnte auch in Zürich mehr getan werden.» Ein Appell also an die Gesetzgeber, den Universitätsrat und die Universitätsleitung. Und weiter: «Ein wichtiger Punkt ist, dass die deutschen Unis konkurrenzfähig wurden». Damit sind nicht nur die höheren Löhne und tieferen Lebensunterhaltskosten in Deutschland gemeint, sondern vor allem die Möglich­keit, ein bezahltes Freisemester zu nehmen, um sich in Forschungsarbeiten vertiefen zu können.

Ist das wirklich so? Von den Wegberufenen wollte niemand dazu Stellung nehmen. Auch Professor Teuscher nicht. Seine momentane Situation sei zu heikel. Er liess lediglich verlauten: «An der Uni Zürich ist man sich zu sicher. Man glaubt konkurrenzlos und die Besten zu sein. Aber das stimmt nicht.» ◊

Dem Ruf gefolgt

Adrian Vatter, von Februar 2008 bis Juli 2009 Professor am Institut für Politikwissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls Schweizer Politik, wechselte im August 2009 an die Universität Bern.

Beate Kellner, seit September 2006 Professorin für ältere deutsche Literatur, hat anfangs 2010 an die Ludwig-Maximilians-Universität München gewechselt.

Philip Ursprung, seit September 2005 ordentlicher Professor für moderne und zeitgenössische Kunst am Kunsthistorischen Institut, hat 2009 einen Ruf an die ETH Zürich angenommen.

Rufe an Profs der UZH, 2005-2009

THF 5 (5 angenommen)

RWF 6 (2 angenommen)

WWF 60 (32 angenommen)

MEF 58 (33 angenommen)

Vetsuisse 6 (6 angenommen)

PHF 67 (53 angenommen)

MNF 41 (31 angenommen)