Interessante Gespräche in der Mitfahrzentrale. Nina Lanzi

Mit Fremden in der gleichen Kiste

Reisen mit der Mitfahrzentrale.

18. Mai 2010

Ich hatte sie schon alle: den netten Kerl von nebenan, den Künstlertypen, den geheimnisvoll Verschwiegenen, den gruselig Verschwiegenen, den Geizkragen, den Spinner. Und mit allen habe ich bei der ersten Begegnung mehrere Stunden auf engstem Raum gesessen und ein Stück Lebensweg geteilt – buchstäblich. Denn sie waren Teil einer Mitfahrgelegenheit.

Musste man früher noch mühsam das schwarze Brett an der Uni absuchen, ist es heute einfach wie nie. Auf verschiedenen Internetplattformen inseriert ein Fahrer, wann er von wo nach wo fährt, wie viele Leute mitfahren können und wie viel es kosten soll. Eine schnelle SMS später hat man sich einen Platz gesichert. Bevor ich ins schweizerische Exil gezogen bin, wusste ich wenig über Mitfahrgelegenheiten, für mich schwang immer dieser 70er-Jahre-Autostopp-Charme mit. Doch nachdem ich genug überteuerte Bahnfahrten mit empörendem Service erlebt hatte, wagte ich den Schritt und «fuhr mit». Der erste Fahrer war ein aufgedrehter junger Businessman, der Spass daran hatte, Menschen zum Reden dabei zu haben – abgesehen von der peinlich detaillierten Lebensgeschichte ein positiver erster Eindruck. Bei weiteren Gelegenheiten machte ich Bekanntschaft mit einem Glasharmonikaspieler, von denen es nur drei in ganz Europa gibt, einem professionellen Handballspieler, meiner späteren Arbeitgeberin, dem Netten, der immer ein Red Bull für mich bereit hielt, und mit einer vermeintlichen Dealerin. Natürlich läuft es nicht immer so angenehm. Wenn zum Beispiel der Fahrer an jeder Tankstelle hält, um den günstigsten Benzinpreis auszumachen, krampfhaft jegliches Gespräch unterbindet oder die Autobahnen meidet, um ja keine Vignette kaufen zu müssen, wünsche ich mir für einen kurzen Moment die bequeme Zugfahrt zurück.

Mit den steigenden Preisen für Benzin und Zugfahrten ist die Beliebtheit der günstigen Mitfahrgelegenheiten gestiegen. Doch es ist mehr als nur billiges Reisen. Sich mit einem Billett eigenbrötlerisch in den Zug setzen kann jeder. Mitfahren hingegen ist immer wieder ein neues Abenteuer. Vor jeder Reise fragt man sich, wer sich wohl hinter der anonymen Anzeige verbirgt.

Für all diejenigen, die sich schwer tun mit Smalltalk und die Privatheit im Kollektiv der Bahnfahrer schätzen, ist eine Mitfahrgelegenheit keine gute Wahl. Doch anders als das Klischee es nahe legt, trifft man keine schmierigen Herren mittleren Alters, die sich zähnefletschend über junge weibliche Mitfahrerinnen freuen, sondern nette Leute einer offenen Community.