Das Zentrum Karl der Grosse. Patrice Siegrist

Im Schatten des Grossmünsters öffnen sich Welten

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18. Mai 2010

Im Zentrum Karl der Grosse spricht man Klartext: «Schenk ein Buch – öffne Welten – verbinde Kulturen». Zum UNESCO-Weltbuchtag lockt das Kulturzentrum damit offensichtlich ein überwiegend weibliches Publikum Ü50 in die Lesung. Die geladenen Autoren Catalin Dorian Florescu und Christine Trüb könnten unterschiedlicher nicht sein. Er ist jung, sie alt. Er ist trendy angezogen, sie der Prototyp einer Autorin: Graues, langes Haar, Brille, Strickpullover. Doch eines haben beide gemeinsam; sie lesen mit total monotoner Stimme aus ihren neusten Werken. Deshalb schläft die Frau in der zweiten Reihe vermutlich ein. Der Rest der Hörerinnen ist jedoch ziemlich begeistert; vielleicht liegt es auch an einer gewissen Rentner-Solidarität.

Dass das Ü50-Publikum überwiegt, ist eigentlich unverständlich, bietet doch die zweite Hälfte der Veranstaltung für Nachwuchsschreiber die Gelegenheit, aus ihren Büchern vorzulesen und damit junges Publikum anzuziehen.

Ort der Begegnung

Spätestens beim Apéro in der Pause sind alle wieder wach. Die Damen ergreifen die Gelegenheit und lassen ihre Bücher von den Autoren signieren. Die ungezwungene Stimmung im Raum sorgt für anregende Gespräche zwischen Schriftsteller und Besucher. Florescu erzählt aus seinem Leben. Er habe nach seinem Studium als Psychotherapeut lange mit Drogenabhängigen gearbeitet. aber nun sei das Schreiben für ihn alles.

Offensichtlich sind es gerade die Zwischenräume, die Pausen, in denen sich Welten neu öffnen und Kulturen verbunden werden.

Das Kulturzentrum im Schatten des Grossmünsters im Niederdorf hat sich genau diese Zwischenräume und Pausen zur Aufgabe gemacht. In einer Zeit, in der sich Verlage und Kulturzentren keine Experimente leisten wollen, fördert das Zentrum die Jungen, die Unerfahrenen und vor allem die Experimentierfreudigen. Regelmässig lädt es zu Kursen zum Thema Schreiben oder organisiert das Erzählcafé, wo die Teilnehmer über Geschichten aus ihrem Leben sprechen oder gesellschaftliche und politische Fragestellungen diskutieren. Eine kleine Kuriosität ist auch die Veranstaltung «L’art dans tous ses états» wo man auf Französisch über Kunst diskutiert und dabei die Fremdsprache auf spielerische Art und Weise auffrischt.

Skurriler Eierkopf

Nach der kulinarischen Stärkung kehren die Besucher gespannt in den Lesesaal zurück und lauschen den jungen Schreiberlingen, die ihre Bücher vorstellen. An diesem Abend werden keine politischen oder gesellschaftlichen Fragen mehr diskutiert, dafür zieht Florescu ein skurriles Fazit seiner Lebensgeschichte: «Vielleicht wäre mit einem Eierkopf einiges unkomplizierter gewesen» – ein experimentelles Gedankenspiel eben.