So hätte die Uni aussehen sollen. Patrice Siegrist

«Ich habe gehört, dass...»

An der Uni Zürich kursieren die wildesten Legenden und Gerüchte.

18. Mai 2010

Berühmte ZS-Journalisten

Beginnen wir mit der ZS. Der Zürcher Student oder die Zürcher Studentin, wie die ZS zwischenzeitlich hiess, hat schon geniale Journalisten hervorgebracht. So haben beispielsweise Constantin Seibt (Tages Anzeiger) und Anna Gossenreiter (10vor10) ihre ersten Schritte bei der ZS gemacht. Natürlich sind auch viele Journalisten und Lyriker gekommen und gegangen, ohne Aufsehen zu erregen. Zwei ZS-Schreiberlinge sind jedoch weltberühmt geworden – Kurt Tucholsky und Max Frisch.

Max Frisch studierte 1930-1932 für zwei Semester an der Uni Zürich Germanistik. Aus finanziellen Gründen musste er das Studium dann abbrechen. 1941 schloss er ein fünfjähriges Studium an der ETH als Diplomarchitekt ab. In dieser Zeit hat er zwar für die NZZ, nicht aber den «Zürcher Student» geschrieben – zumindest taucht sein Name in keiner Ausgabe des ZS auf. Erst sehr viel später im Jahre 1968 schrieb Frisch im Zürcher Student eine Stellungnahme über das Referendum des VSETH zum ETH-Gesetz mit dem Titel: «Wie wollen wir regiert werden?»

Die Suche nach Kurt Tucholsky hingegen gestaltet sich schon schwieriger. Dass er für die ZS geschrieben haben soll, scheint auch weiter hergeholt, denn der Bezug von Tucholsky zur Uni Zürich fehlt gänzlich. Er studierte im Jahre 1910 lediglich ein Semester Jus in Genf. Tatsächlich veröffentlichte er aber im Juni 1926 einen Artikel im ZS. In der damals rechtsgeprägten Zeitung schrieb er unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel eine Glosse mit dem Titel: «Interessieren Sie sich für Kunst?»

Die Twin Towers

Von der ZS hin zum Unigebäude. Vergleicht man die Hauptzentren der Uni und der ETH, fällt etwas sogleich auf. Während die ETH ein schön symmetrischer Bau ist, sieht die Uni irgendwie unfertig aus. Geplant war das nicht, eigentlich hätte die Uni zwei Türme, zwei Lichthöfe und sähe überhaupt schöner aus.

Dass die Uni im Gegensatz zur ETH ein unvollendetes Antlitz hat, liegt weit zurück und wie so oft am Geld. Ein Blick in die Geschichtsbücher: Nach ihrer Gründung 1833 zog die Uni Zürich erst in die Fraumünsterabtei, dann ins Augustinerkloster an der gleichnamigen Gasse, nach dem Bau des Polytechnikums (heute ETH) 1864 in dessen Südflügel. 1897 hatte die Uni das Nomadendasein satt und drängte auf ein eigenes Hauptgebäude. 1908 gewann das Projekt «Künstlergut» der Architekten Curjel und Moser die Bauausschreibung. Noch im selben Jahr gaben die Zürcher Stimmbürger grünes Licht für den Bau. Ab 1911 wurde gebaggert, 1912 stand das Kollegiengebäude, 1913 der Turm. 1917 entwarf der Architekt Moser im Auftrag des Regierungsrates Pläne für die symmetrische Spiegelung der Uni, die das Gebäude zu einem typisch klassizistischen Monumentalbau gemacht hätten. Der Plan wurde nie verwirklicht. 1930 entstand dafür die Idee, die ganze Uni um eine Etage aufzustocken, 1933 wollte man die Uni um einen Anbau aus Sichtbeton erweitern – aber auch das kam nicht durch.

Sex auf dem grossen Sofa

Auch wenn die Uni bloss einen Lichthof hat, steht darin dafür ein markantes Merkmal. Es ist edelblau, silbern bestickt und erinnert an die Schweizer Juristin und Privatdozentin Emilie Kempin-Spyri – das Sofa im Lichthof. Bei der Enthüllung ihrer Riesencouch sagte die Künstlerin Pipilotti Rist: «Ruhen Sie sich darauf aus, denken Sie nach – aber schlafen sie nicht ein dabei!» Dass auf ihrem Denkmal zwei Studierende Sex haben werden, daran dachte sie damals wohl nicht.

Das Sofa war während der Unibesetzung im vergangenen Herbst ein beliebter Schlafplatz. Die übergrosse Couch ist weich, bequem und lädt zum Schlafen ein. Tatsächlich nutzten zwei Studierende es als Schlafplatz. Während der Besetzung bildeten sich neue Paare und diese haben sich auf dem Sofa auch geküsst. Wie die ZS aus sicherer Quelle weiss, ist es dabei aber zu keinem Beischlaf gekommen.

Die kurze Ära der eckigen Tische

Studierende, die sich regelmässig im Lichthof aufhalten und da den Grossteil ihrer Zeit kaffeetrinkend vertrödeln, staunten nicht schlecht, als sie zu Beginn des Herbstsemesters 2006/07 den Lichthof betraten. Statt den kleinen runden Café-Tischlein standen plötzlich grosse klobige viereckige Tische herum, wie man sie für Bastelstunden in Kindergärten benutzt. Doch nach wenigen Wochen waren die Dinger so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Seitdem stehen wieder die Café-Tischchen im Lichthof. Da hat sich wohl jemand einen Spass erlaubt.

Wie regelmässige Leserinnen und Leser der ZS wissen, haben wir dieses Rätsel bereits einmal aufgelöst. Gut unterrichtete Quellen berichteten uns damals, die Tische seien vom Hausdienst in eigener Regie ausgewechselt worden – bis der damalige Rektor Weder persönlich die Bescherung sah und sich empörte. Im Abschiedsinterview mit der ZS im Mai 2008 bestätigte Weder die Anekdote: «Ich war aufgebracht und verfügte, dass wieder die kleinen runden Tische aufgestellt werden.» Er habe sonst wenig von seiner Weisungsgewalt Gebrauch gemacht, schob er nach, aber da habe er einfach eingreifen müssen. Eine nette Geschichte, die wir hier gerne nochmals erzählt haben.

Geklaute Stühle am DS

Für viele dürfte allerdings diese Geschichte neu sein: Vor drei Jahren klauten zwei Studenten für ihre neue WG am Deutschen Seminar zwei Stühle. Sie wählten nicht irgendwelche Stühle sondern fuhren mit ihrem Auto zum DS und gingen zielstrebig in den ersten Stock. Da nahmen sie je einen Designerstuhl, die bei den tiefen Tischchen an der Fensterfront stehen, luden sie in den Kofferraum und waren nie mehr gesehen.

Ganz so dreist waren die Studenten wohl doch nicht. Weder beim Seminarsekretariat noch beim Hausdienst weiss man von einem solchen Vorfall. «Es ist gut möglich, dass diese Stühle temporär für einen Anlass weggeräumt wurden. Geklaut wurden sie bestimmt nicht, das hätte ich mitbekommen», sagt Markus Domeisen vom Sekretariat und scherzt: «Ich würde auch niemandem anraten, diese Stühle zu klauen. Bequem sind sie nämlich nicht.»

Das Gespenst im HS

Dafür hat es sich eine ältere Frau vor wenigen Semestern in den Zimmern des Fachvereins Geschichte bequem gemacht. Im Westflügel der Uni, dem KO2, der in erster Linie den Historikern vorbehalten ist, gibt es in einer Ecke im Stockwerk G das muffige Zimmer des Fachvereins. Obwohl das Zimmer, oder besser gesagt das Kämmerchen, mit allen möglichen Utensilien vollgestopft und vollgeklebt ist, fiel vor wenigen Semestern regelmässigen Besuchern des Zimmers auf, dass seit Wochen eine Tasche mit Kleidern unter der Couch lag. Einer dieser aufmerksamen Beobachter wollte eine alte Frau im Zimmer gesehen haben, die nicht zu studieren schien. Die vagen Beobachtungen erhärteten sich. Hier hatte man es mit einem heimlichen Bewohner zu tun, der sich tagsüber an der Uni herumtrieb und nachts auf der Couch im Zimmer schlief.

Mit Sicherheit kann man es nicht wissen – aber die Recherchen der ZS deuten darauf hin, dass diese Geschichte bloss ein wildes Gerücht ist. Niemand hat die alte Frau je ein zweites Mal gesehen, und auch die ominöse Kleidertasche war eines Tages wieder weg. Zwar verschwand in der besagten Zeit der gesamte Zigarettenbestand des Fachvereins Geschichte, aber das könnte irgendwer gewesen sein.

Der Vollständigkeit halber muss jedoch angemerkt werden, dass der Gedanke an das kostenlose Wohnen in der Uni gar nicht so abwegig ist. Es wäre durchaus möglich, die Zimmer der Fachvereine als Schlafstätte zu benützen, denn sie sind meistens mit Couchs ausgestattet. Die Dusche und Morgentoilette lässt sich komfortabel im ASVZ Polyterrasse erledigen. Und im Lichthof und im Rondell warten schon Kaffee und Gipfeli, bevor man sich aus dem unendlichen Lehrangebot ein Programm zusammenstellt.

Der Graf im Rondell

Kennt ihr den Grafen? Die heimlichen Bewohner der Uni kennen ihn mit Sicherheit. Die Legende um den Grafen ist an einer Podiumsdiskussion anlässlich des 175-Jahre-Jubiläums der Uni 2008 in die Welt getreten. Rektor Weder, gefragt nach dem Studierenden mit der höchsten Anzahl Semester, antwortete, es gebe da einen deutschen Grafen, der seit siebzig oder achtzig Semestern an der UZH eingeschrieben sei. Damit keine Langeweile aufkomme, wechsle er alle paar Semester das Studienfach. Einer der letzten Universalgelehrten also.

Die ZS machte sich auf die Suche nach dem Grafen. Gemäss Weder sollte man ihn des Öfteren beim Kaffee im Rondell im Geschoss E antreffen. Dort war er jedoch nicht ausfindig zu machen. Auch der Weg über die Unikanzlei lief ins Leere. Sie konnte zwar insofern Auskunft geben, dass der «ewigste Student» im 84. Semester im Fach Jus immatrikuliert ist, doch als die ZS eine Interviewanfrage übermittelte, kam nichts zurück. Hat sich Rektor Weder also geirrt und der Graf ist bloss eine Legende? Ist er gestorben? Ist ihm langweilig geworden und er ist auf sein Landgut in Schlesien zurückgekehrt? Haben ihn die irrlichternden Bologna-Studierenden verschreckt? Oder ist er eines schönen Morgens in der ersten Reihe des Vorlesungssaals gesessen, das linierte Notizheft mit Ledereinband bereits aufgeschlagen, den Füllfederhalter in der Hand, als etwas durch ihn fuhr und er mit Erstaunen feststellte, dass er jetzt, in diesem Moment, alles gelernt hat, was er lernen wollte?

Erlauchter Hochwürden, falls es Sie gibt und Ihr diese Postille in euren weisen Händen haltet, bitte habt die Güte und gewährt uns eine Audienz bei Euch.

Die Mythologie des Lichthofs

Apropos weise Hände: Diese fehlen ihnen nur zu oft – den Statuen im Unigebäude. An den Wänden des Lichthofs sind Reliefs angebracht, deren Figuren die Glieder fehlen, und auch die klassizistische Statue in der Mitte hat bloss noch einen Arm. Das war nicht immer so, denn in den 70er-Jahren haben aufständische Studierende die Glieder entfernt.

Aufständische Studierende besetzten 1971 zwar den Lichthof und hängten Konterfeis von Karl Marx und Friedrich Engels auf, doch die Reliefs liessen sie unberührt. Letztere wurden mehrheitlich in den ersten Jahren nach 1914, spätestens aber in den 30er-Jahren, gefertigt. Die Wandreliefs im Lichthof sind eine Nachbildung des antiken Altars im türkischen Pergamon, welchen der deutsche Ausgraber Carl Humann im Auftrag der Berliner Museen in den 1870ern und-80ern freilegte. Erbaut wurde der Altar um 170 v. Chr., es ist aber nicht klar, ob er Athena, Zeus oder beiden Göttern gemeinsam gewidmet war. Die Friese stellen den Kampf der Götter und Giganten dar. In den Anfangsjahren der Uni wurde der Lichthof «Göttergarten» genannt, weil darin die archäologische Sammlung an Statuen untergebracht war. Der Göttergarten wurde schliesslich entrümpelt, übrig geblieben ist nur eine Kopie der Nike aus Samothrake.

Tod im Lichthof

So makaber wie abgetrennte Glieder ist unsere letzte Geschichte. Bis vor einigen Jahren fand im Hauptgebäude jährlich eine von Studierenden organisierte Uniparty statt. Bei einer solchen Party ist ein Betrunkener auf das Glasdach geklettert. Dieses hielt seinem Gewicht nicht stand und der Todgeweihte schlug mitten im Lichthof auf.

Tatsächlich ist 2003 jemand durch das Glasdach in den Lichthof gestürzt und dabei gestorben. Doch es war kein Betrunkener an der Uniparty – dieser tragische Unfall ereignete sich in den Semesterferien. Ein 27-jähriger Portugiese besuchte zwei Bekannte, welche – mit Sicherheitsgurten und Seilen gesichert – die Glaskuppel reinigten. Ungesichert wollte er über die Verstrebungen zu den Kollegen gelangen, obwohl diese ihn noch warnten. Bei einem Fehltritt durchbrach er die Verglasung und stürzte 26 Meter in die Tiefe. Er erlag noch an der Absturzstelle seinen Verletzungen.