Flirten im Kerzenlicht: Speed-Dating der ETH. Patrice Siegrist

«Der Nächste, bitte!»

Zehn Männer in eineinhalb Stunden und doch kein Traumprinz. Unsere Single-Reporterin über den Selbstversuch beim Speed-Dating der ETH.

18. Mai 2010

Da sitz ich nun einem wildfremden Mann gegenüber. «Warum bis du denn hier», fragt er mich. Ich komme ins Schleudern, habe aber nach kurzem Überlegen meine vorbereitete Antwort bereit: «Ich probiere gerne neue Sachen aus – erweitere gewissermassen meinen Horizont.» Das ist so nicht mal gelogen, entspricht nur nicht der ganzen Wahrheit. Als einziger Single – neben Redaktionschef Corsin, der natürlich genug anderes zu tun hat als Frauen kennen zu lernen – bin ich prädestiniert für diesen Auftrag. Ein «Mitgemacht» am ersten universitären – von ETH-Studenten organisierten – Speed-Dating.

Nun aber von vorne. «Mit wie vielen Leuten warst du schon intim?» Na, die wollen Sachen von mir wissen! Die Anmeldung an sich ist schon ein gröberes Unterfangen. Fragen um Fragen – es will nicht enden. Da ich das Ganze ja seriös durchführe und eine eventuelle Hoffnung auf eine gute Bekanntschaft besteht, nehme ich mir Zeit – und komme deswegen zu spät in mein Literaturseminar. Gewisse Fragen erscheinen mir dann doch etwas seltsam. «Schöner Samstagmorgen, du hast Muskelkater, was machst du?» Naja, Samstagmorgen habe ich selten Muskelkater. Oder spielen sie da etwa auf nächtlichen Sport und strapazierte Innenoberschenkelmuskeln an? Wohl eher nicht. Über meine Intimitäten wissen sie ja dank der oberen Frage schon Bescheid. Gut, das hätten wir

Hundekot und Stöckelschuhe

Zwei Wochen später erfahre ich den Termin. Mein Gefecht am besagten Tag mit dem Kleider- und Schuhschrank lass ich an dieser Stelle mal besser unerwähnt. Ich eile also aus dem Haus, trete in einen Hundekot, eile zurück ins Haus, wasche meine Schuhe und eile wieder aus dem Haus. Herrlich, ich komme mir jetzt schon vor wie im Film. Ein bisschen komisch ist mir auf dem Weg schon zumute. So ein Speed-Dating ist ja doch eine ziemlich gezwungene und unnatürliche Art des Kennenlernens. Doch Probieren geht über Studieren, und deshalb finde ich mich schon bald unter neun anderen Singlestudentinnen wieder. Und da komm ich mir jetzt doch etwas overdressed vor – obschon ich mich so gekleidet im Alltag durchaus aus dem Haus wage. Vielleicht war der Absatz im Hundekot ein Hint dafür, von den hohen Schuhen auf flache umzusteigen. Doch ich setze auf Authentizität und ich mag sie nun mal, meine geschnürten Stöckelschuhe.

«Zum Glück redet er»

Als ich Punkt acht in den «Frauenraum» eintrete, ist schon voll das Gaudi los – die scheinen sich irgendwie alle zu kennen. Etwas abseits setze ich mich schweigend auf das freie Stühlchen und schreibe meinen Namen auf das Etikett mit der Nummer sieben. Und mit der Nummer sieben aus der Männerfraktion verbringe ich wenig später meine ersten sieben Minuten im liebevoll eingerichteten ETH-Raum. Eine Kerze steckt in der Wodkaflasche, die Tische sind dekoriert mit farbigen Decken, Steinchen und Blumen, und ein Schälchen mit Knabberzeugs steht bereit. Wenn man sich nichts zu erzählen hat, kann man wenigstens etwas essen. Das beruhigt mich. Nun sitze ich also dem ersten der zehn Kandidaten gegenüber. Ich weiss nicht so recht, wie starten, habe plötzlich das Gefühl, zu wenig vorbereitet zu sein. Hätte ich mir doch wenigstens einen Einstieg überlegt oder einen Plan B, wenn alles schief läuft. Aber ich sitze da, spiele mit den Steinchen und habe keinen Schimmer, was ich sagen oder wissen möchte. Verlegen schau ich in den Kerzenschimmer und für einen kurzen Moment bin ich versucht, mit dem Wachs zu spielen. Nun redet er – zum Glück! Und ich bin positiv überrascht, denn er fragt weder nach meinem Studiengang noch nach meinen Hobbys: «Wohin ging deine letzte Reise?» Erleichtert erzähl ich vom Trampen durch Nordosteuropa, den verschwommenen Momenten mit polnischen Bekanntschaften und dem Bernsteinsammeln an der litauischen Küste. Dann erfahre ich von seiner Faszination für Ägypten und schon bald klingelt das Glöckchen. Uff, das erste Gespräch ist nochmals gut über die Runden gegangen.

Gemeinsamkeiten – mehr nicht

Es folgen verschiedene Männer, und mit jedem nimmt das Gespräch einen anderen Verlauf. Trotz der Kürze der Konversation kommen wir zu meiner Überraschung meistens auf irgendeine Gemeinsamkeit – sei es das gerissene Kreuzband, das verstaubte Schlagzeug, die Liebe zu Lausanne, zur italienischen Patisserie oder zum Akkordeon. Dennoch bleibt es bei diesen oberflächlichen Gemeinsamkeiten, keiner der zehn Männer vermag mich in seinen Bann zu ziehen. Irgendwie schaff ich es nicht, mich für mein Gegenüber zu interessieren. Und das tut mir leid. Liegt es an meinem, mit prüfungsrelevanten Themen vollgestopften Kopf? Tick ich als Germanistikstudentin wirklich so anders als Maschinenbau-, Elektro- und Umweltingenieurstudenten? Wie wäre es wohl zu einem anderen Zeitpunkt mit Phil-Studenten gewesen? Oder bin ich einfach weniger enthusiastisch, weil ich mit einer anderen Ausgangslage hierher gekommen bin? Ich weiss es nicht. Ich weiss aber, dass es sich gelohnt hat, dieses Speed-Dating mitzumachen, wenn zwar nicht meines Singledaseins, dann doch der Erfahrung wegen. Denn wie schon gesagt: Ich finde es immer wieder spannend, neue Sachen auszuprobieren und meinen Horizont zu erweitern. Und dies habe ich heute definitiv getan. Weitere Speed-Datings sind in Planung.