Eine stimmungsvolle Lesung mit bezaubernd ungewöhnlichen Geschichten. Sabina Galbiati

Von der Bühne ins Buch

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28. April 2010

Im Berner Guy Krneta wohnt ein 800-köpfiges Orchester und auf Jens Nilsens Wiesen wachsen Männer aus dem Boden, um gleich wieder darin zu verschwinden. Dabei sind die beiden weder Dirigent noch Gärtner. Sie sind Geschichtenerzähler, Schauspieler, vielleicht ein bisschen Lebemänner. Für ihre Lesung im Theater Neumarkt brauchen sie nichts ausser einem grellen Scheinwerfer, der zwei Mikrophone beleuchtet, und der Phantasie der Zuhörer. Ganz in schwarz gekleidet verschmelzen ihre Körper mit dem Hintergrund. Da ist nichts ausser Stimme und Mimik, die den lebendigen Geschichten viel Raum lassen.

Füdlibürgerhumor in verdrehter Welt

Krnetas berndeutsche Geschichten erzählen die Schweiz und ihr Bünzlitum. So alltäglich das auch klingt, der Hörer muss sich hüten, will er dem frischen, ironischen Füdlibürgerhumor nicht verfallen. Letztlich kann er gar nicht anders. Nilsens Geschichten dagegen verdrehen durch ihre Bildsprache unser komplettes Weltverständnis. Eltern schneiden ihre Kinder auf und stopfen die ganze Erziehung herzlos hinein. Eine Frau erzählt ihre Geschichte, die so lange dauert, dass alle Zuhörer einfach wegsterben. Der fremde Mann geht nicht ins Theater, sondern das Theater kommt zu ihm. Und der Frauentausch, bekannt durch RTL2, wird zum Völkertausch.

«Edition spoken script»

Schnell ist klar, da treffen zwei Textperformer aufeinander, deren Geschichten unterschiedlicher kaum sein könnten. Doch teilen sich die Autoren ihre Leidenschaft für mündliche Literatur. Guy Krneta versammelt in «Mittelland» seine schönsten DRS 1-Morgengeschichten auf Berndeutsch und in hochdeutscher Übersetzung. Dagegen vereint Jens Nilsen in seinem ersten Buch 15 poetische und tragikomische Geschichten aus seinen Textperformance-Programmen. Sein Primeur trägt den sinnigen Titel «Alles wird, wie niemand will». Gefunden haben sich die beiden Performer durch die «edition spoken script», ein Projekt des Verlages gesunder Menschenversand. «Von der Bühne ins Buch» lautet ihr Slogan. Hinter dem Begriff «edition spoken script» verbirgt sich eine facettenreiche und vielfältige Taschenbuchreihe. Sie widmet sich Texten, die zunächst fürs Vortragen auf der Bühne oder im Radio geschrieben wurden.

Performance par excellence

Fans von Poetry Slams, Textperformances oder Lesungen, die anspruchsvolle und witzige Kürzest-Geschichten für die langweilige Tramfahrt zur Universität suchen, sind mit den Storys aus «Mittelland» oder dem Credo «Alles wird wie niemand will» bestens versorgt. Die literarischen Ohrwürmer garantieren Lesegenuss vom Feinsten und machen neugierig auf weitere Nummern der «edition spoken script».

Links

Der gesunde Menschenversand