Julia, Zimmersuchende

28. April 2010

Portrait

Julia ist zierlich, auf den ersten Blick unscheinbar. Ihr Zimmer ebenso. An der Wand hängen Halsketten, das Bett ist gemacht, im Gestell stehen Ordner in verschiedenen Farben. Seit letztem September wohnt die Thunerin in der Stadt – «wenn man das Gaggo hier draussen noch Stadt nennen kann.» Man merkt es, das Zimmer am Hönggerberg ist für die Umweltingenieurwissenschaftsstudentin eine Zwischenlösung. Auf den letzten Drücker vor Studienbeginn konnte sie hier einziehen. Nun möchte Julia ausziehen, raus aus dieser Zwecks-WG. «Man muss ja nicht gleich beste Freunde werden. Aber es ist mir schon wichtig, dass man ein bisschen Interesse am anderen zeigt.» Auf das Zusammenleben mit ihrem Mitbewohner möchte Julia nicht näher eingehen, wohl aus Diskretion.

Die Suche erweist sich erneut als äusserst kraftraubend, seit Dezember klappert sie wieder sämtliche bezahlbare Wohnungen in Zürich ab. 60 Besichtigungen hat Julia nach eigener Schätzung hinter sich. Sie rechnet gar nicht mehr damit, in nächster Zeit ein neues Zimmer zu finden. «Zu viele Absagen habe ich bisher eingesteckt», sagt sie und verwirft die Hände. Ein ermüdeter Blick huscht über ihr Gesicht. Er haftet an ihren blauen Augen, bis sie plötzlich laut auflacht und ihn durch ein Strahlen verdrängt. Als wäre es ihr Alltag, schildert sie nicht frei von Ironie ihre zahlreichen Besichtigungen. Ein funktionierendes Rezept hat sie bisher nicht gefunden. Weder ihre auffälligen Lieblingsschuhe, mit denen sie sich ins Gedächtnis der Bewohner einbrennen möchte, noch ihre Bemühungen nach Authentizität brachten ihr Erfolg. «Das ist ja das Harte. So, wie ich wirklich bin, wollen sie mich anscheinend nicht», sagt Julia – unsicher, ob sie das glauben soll oder nicht. Wenn sie von Zürich redet, blüht Julia richtig auf. «Hennä kuhl» findet sie den Bürkliplatzflohmi und die vielen Brockenhäuser. Am Donnerstagabend ist sie jeweils im Hive anzutreffen. Julia kennt sich in der Limmatstadt sehr gut aus – dank der Wohnungssuche.

Etliche Male ist sie damals für die Besichtigungen von Thun nach Zürich gereist und so in der ganzen Stadt herumgekommen. «Das war extrem anstrengend.» Bei den Besuchen in den WG’s darf sie sich aber nichts von ihrer steigenden Frustration anmerken lassen. «Sorgen runter schlucken und zur Tür rein.» Einige Male hatte sie nach der Besichtigung das Gefühl, «es stimmte voll». Sie hat sich vorgestellt, wie sie das Zimmer einrichten würde – und dann kam sie wieder, die Absage. «Irgendwann habe ich begonnen, an meiner Menschenkenntnis und meiner Selbstwahrnehmung zu zweifeln.» Julia sucht weiter, bis sie eine Zusage bekommt. Bis dahin probiert sie alles Erdenkliche – sogar in der ZS lässt sie sich ablichten. «Wer weiss, vielleicht bringts ja was.»

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die erfreuliche Meldung – Julia hat ein Zimmer gefunden! Zentral gelegen. «Ich freue mich wie ein kleines Kind und kann es kaum fassen!»